Erfolgreicher Sanierer

Drei Super Bowl-Auftritte geben Bill Parcells glänzende Referenzen und ein bemerkenswertes Arbeitszeugnis für seinen Job als Football-Trainer. Freilich können Ähnliches oder gar noch Besseres auch andere aus der Branche aufweisen, die aber dennoch im Ranking der Football-Historie nicht annähernd den Platz von Parcells einnehmen. Dessen Status in derselben rekrutiert sich nicht allein und nicht zuvörderst aus Titeln und Championaten. Die Besonderheit, die Außergewöhnlichkeit, quasi das "Alleinstellungsmerkmal" von Bill Parcells ist es, dass er in der NFL stets Teams trainierte, die er in Krisensituationen und in Leistungstälern übernahm, die tiefer kaum sein konnten, und es regelmäßig schaffte, in vergleichsweise kurzer Frist das "Schicksal" zu wenden und die Sorgenkinder auf die Erfolgsstraße zurückzuführen.

Das gilt auch für die Dallas Cowboys am Schluss, obwohl da das Happy End eines Playoff-Sieges in Parcells’ vierter und letzter Saison ausblieb. Aus Versagern, oder etwas moderater formuliert, aus Verlierern Sieger machen, das war die herausragende Qualität von Bill Parcells. Eine Herausforderung, die er liebte, und die er – sieht man sich trotz vorliegender anderer Offerten von "fertigeren" Teams mit größeren Erfolgsversprechen die Wahl seiner Mannschaften an – wohl auch bewusst suchte. Dass Parcells aus "Gurkentruppen", was deren Status quo bei Amtsübernahme anging, ohne totale Generalüberholung des Personals Vorzeige-Teams machte, brachte ihm den Ruf des Gurus der NFL-Trainergilde ein.

Die Giants hatten vor der Ära Parcells in neun von zehn Jahren negative Bilanzen, die Patriots kamen nach diversen Skandalen und Turbulenzen aus Sicht des Coaches als das "depressivste Team, das ich jemals gesehen habe", daher. Die New York Jets waren vom gleichen Kaliber, als sich "Big Tuna" 1997 entschied, dieses Erscheinungsbild zu ändern. Die Saison zuvor hatten die Jets als "Schießbude" der Liga nur einen Sieg aus 16 Spielen geholt. Was folgte, war laut US-Fachpresse ein "bemerkenswerter Umschwung" und echt Parcells-like. Die Jets spielten eine 9-7-Saison, verfehlten aber noch die Playoffs. Im Jahr darauf gewannen sie erstmals seit ihrem einzigen Super-Bowl-Triumph 1969 ihre NFL-Division mit einer 12-4-Bilanz, verloren aber im AFC Championship Game gegen den späteren Champion Denver Broncos. Nach der von Verletzungen der Führungsspieler wie Quarterback Vinny Testaverde geprägten Saison 1999, die die Jets nach einem 1-6-Start und dem zwischenzeitlichen 4-8-Minus noch mit 8-8, aber ohne Playoffs beendeten, trat Parcells nach 1991 zum zweiten Mal vom Trainerjob zurück – endgültig, wie er verkündete.

Er arbeitete als Fernsehkommentator, bis ihn Dallas-Cowboys-Besitzer Jerry Jones zur Saison 2003 als Head Coach in den Wilden Westen holte. Das Spiel war dasselbe wie immer, the same procedure as every Parcells’ job. Die drei Serien zuvor hatten die Texaner jeweils mit miserablen 5-11-Bilanzen abgeschlossen. Mit Parcells auf der Kommandobrücke legten sie auf Anhieb eine 10-6-Saison hin, verloren allerdings in der Auftaktrunde der Playoffs gegen die Carolina Panthers. Für das Cowboys-Mastermind bedeutete das gleichwohl einen Rekord, der in den NFL-Statistiken Bestand haben wird: Er war der erste Coach in der Geschichte der Liga, der vier verschiedene Teams in die Playoffs führte.

Als Parcells im Januar 2007 seinen Hut nahm, schied er mit einer mittelmäßigen 34-32-Bilanz aus Dallas, die beiden Playoff-Niederlagen eingeschlossen. Eine Positiv-Bilanz, die der ehrgeizige Coach kaum als "positiv" empfunden haben dürfte, weil sie seinen Ehrgeiz nicht mal im Ansatz befriedigte. Einer seiner Spieler beschrieb das treffend so: "Er konnte noch nie verlieren, und das wird immer schlimmer, je älter er wird." Parcells selbst wusste genau über sich und seine Antriebe Bescheid. "Es gibt das Gewinnen und es gibt die Armseligkeit", erklärte er. Die Folge aus dieser simplen Erkenntnis war eine Trainerphilosophie, die seinen Charakter für Außenstehende schnell auf klischeehafte Schubladenbilder wie "harter Hund", "Schleifer" oder "Diktator" festlegte.

Richtig nahe an sich heran ließ Bill Parcells wenige. Er versteckte sein Innenleben gerne hinter Schroffheit, demonstrativem Zynismus, ätzendem Humor. Im Porträt einer großen deutschen Tageszeitung aus dem Jahre 1999 wird er als "ein bisschen Einzelgänger, ein bisschen Menschenschinder, ein bisschen Zyniker und ganz viel Genie" beschrieben. Jeff Hostetler, einer seiner Quarterbacks und mithin auf besonders enge Kooperation mit dem Feldherrn an der Seitenlinie angewiesen, bekannte: "Ich kann über den Mann als Trainer nur Gutes sagen, aber ich habe keine Minute mit ihm genossen."

Für Parcells gab es immer nur eine Devise: ganz oder gar nicht, Vollgas auf der Überholspur, ohne Rücksicht auf Verluste. Das bezog die eigene Person durchaus mit ein. Vier Herzoperationen hat der Choleriker inzwischen hinter sich, ihm wurde ein Bypass gelegt. Schonung hat er sich aber nie auferlegt. Und wenn er etwas in dieser Richtung bei einem seiner Spieler vermutete, dann hatte der nichts mehr zu lachen. Parcells wollte gewinnen, immer und überall. Alles andere machte ihm schlechte Laune, und hatte er die einmal, dann war es angeraten, ihm aus dem Wege zu gehen. Egal ob Spieler, Offizieller, Journalist oder Very Important Person. "Egal was du alles gewonnen hast, egal wie viele Spiele, egal wie viele Meisterschaften, egal wie viele Super Bowls, zurzeit gewinnst du nicht, also stinkst du." So einfach ist das.

Der Text stammt aus dem Buch "Die Superstars der NFL" - 196 Seiten - 19,90 Euro.

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