Der einzige Lichtblick

Nachdem Brian Urlacher am College noch seinen Abschluss in Kriminologie gemacht hatte, war er 2000 als Erstrunden-Pick natürlich der viel beachtete Hoffnungsträger bei den Bears. Aber in den ersten beiden Spielen musste er zunächst das harte Leben eines Auswechselspielers kennenlernen. Der erfahrene Barry Minter hatte seine Position inne, aber schon im dritten Spiel der Saison gegen die New York Giants war Head Coach Dick Jauron von Urlachers Fähigkeiten überzeugt - er ließ ihn als Starter auflaufen. Seine Leistung in diesem Spiel und im weiteren Verlauf der Saison machten ihn sofort zum Publikumsliebling, die Erinnerungen an die Zeiten der "Monsters of the Midway" wurden wieder wach. Am Ende der Saison stand seine erste Einladung zum Pro Bowl und der NFL Rookie of the Year Award auf der Habenseite.

Aber wie schon am College musste Urlacher die leidvolle Erfahrung machen, dass nur seine guten Leistungen allein eben nicht für Erfolge in der Meisterschaft reichen. Er hoffte, dass es im folgenden Jahr besser laufen könnte, musste aber auch dann schnell feststellen, dass die Aussichten für 2001 nicht besser wurden. Die Quarterback-Situation bei den Bears war von einem Zweikampf zwischen Jim Miller and Shane Matthews geprägt, beide nicht gerade als Ausnahmekönner bekannt. Immerhin: Neben Urlacher in der Defense sorgte im Angriff die Offensive Line für einen Lichtblick, und David Terrell sollte als neuer Receiver für frischen Wind im Passangriff sorgen. In der Abwehr begann der Zuschnitt auf Urlacher: Um ihm mehr Handlungsspielraum zu verschaffen, wurden mit Ted Washington und Keith Traylor zwei starke Defensive Tackles verpflichtet. Dick Jaurons Plan war es, seinem Schlüsselspieler mehr Raum zu verschaffen. Jauron ließ also durchaus die erfolgreiche Taktik, die Rocky Long an der University of New Mexico angewandt hatte, in seine Überlegungen mit einfließen.

Es war keine Überraschung, dass Urlachers Spielweise bei den Fans der Bears Begeisterungsstürme hervorrief. Aber noch viel mehr kam seine ruhige, bescheidene Art an. Defense-Spieler moderner Prägung sind ansonsten in der NFL eher dafür bekannt, sich öfter einer "kräftigen" Sprache zu bedienen und dabei auch hier und da einmal jeden Anflug von Anstand außer Acht zu lassen. Urlacher dagegen spuckte nie wirklich große Töne, beleidigte nie seine Gegenspieler, bewies außerdem jederzeit Loyalität zu seinem Arbeitgeber und seinen Teamkollegen. Auf diese Art wurde er bereits in der zweiten Saison so beliebt, dass er in einem Atemzug mit den ursprünglichen "Monsters of the Midway" genannt wurde.

Auf der einen Seite freute ihn die Aufnahme in diesen erlesenen Kreis, aber er selbst fügte auch an, dass diese Art Ritterschlag etwas verfrüht sein könnte. "Dick Butkus personifiziert, was die Bears waren und was sie sind. Ich denke, dass Brian Urlacher als eine Art Prototyp für die Hoffnungen der Fans steht, wenn es um eine erfolgreiche Zukunft geht", äußerte der zwischen 1999 und 2001 als Trainer in Chicago tätige Dale Lindsey. Auch bei seinen Gegenspielern und Kollegen in anderen Teams hat sich Urlacher sehr viel Hochachtung erarbeitet. "Es gibt nur wenige Linebacker, vor denen ich wirklich Respekt habe. Er ist einer davon", sagte NFL-Legende Zach Thomas einmal über Urlacher.

War die erste Saison noch von einigen Rückschlägen gekennzeichnet, sollte Urlachers zweites Jahr in Chicago bereits erste Erfolgserlebnisse bringen. Die Veränderungen im Kader schienen schnell Früchte zu tragen. Zwar verlor man das erste Spiel in Baltimore, doch die Bears fingen sich und gewannen anschließend sechsmal hintereinander. Insgesamt 13 Siege kamen 2001 zusammen. Nach der Auftaktniederlage war man nur den Green Bay Packers zweimal noch nicht gewachsen, konnte aber trotzdem die NFL Central gewinnen. Gute Aussichten für die Playoffs, aber trotz Heimrecht verlor man gegen die Philadelphia Eagles mit 19:33.

Landesweite Aufmerksamkeit war Urlacher im dritten Spiel der Saison bei den Atlanta Falcons zuteil geworden. Die Partie war im Vorfeld zum Aufeinandertreffen der beiden NFL-Shooting-Stars jener Zeit hochstilisiert worden. Auf der einen Seite stand Quarterback Michael Vick für die Falcons, auf der anderen Urlacher. Eigentlich schlug sich der Spielmacher der Atlanta Falcons mit einem Quarterback-Rating von 100,7 in dieser Partie gar nicht schlecht, aber der eindeutige Sieger hieß Brian Urlacher. Dieser konnte acht Tackles verbuchen, fing einen Pass von Vick ab, brachte diesen auch einmal hinter der eigenen Linie zu Boden und trug auch noch einen Fumble über 90 Yards zum Touchdown zurück. Und vor allen Dingen, Chicago siegte haushoch mit 31:3. Diese Leistung brachte ihm die Auszeichnung als NFC Defensive Player of the Week ein.

Dick Jauron, der erst zwei Jahre zuvor nach einigen Kontroversen verpflichtet worden war, sorgte mit den Bears somit für das größte Comeback in der Clubgeschichte. Nach dem Super-Bowl-Erfolg 1985 waren die Bears schließlich nicht nur einfach im Mittelmaß versunken, sie gehörten ohne Frage über mehrere Jahre zu den allerschlechtesten Teams der gesamten NFL. Bevor die Bears Dick Jauron im Januar 1999 geholt hatten, galt Dave McGinnis, der damals bei den Arizona Cardinals das Amt des Defensive Coordinators inne hatte und bereits unter Mike Ditka und Dave Wannstedt als Assistenztrainer in Chicago fungiert hatte, als der designierte Nachfolger des gefeuerten Wannstedt. Es wurde bereits eine Pressekonferenz angesetzt, um die Verpflichtung von McGinnis offiziell zu verkünden, bevor dieser überhaupt eine Zusage gemacht hatte. Dummerweise platzte der Deal dann doch noch, und der Haussegen bei den Bears hing gewaltig schief. Kaum war Dick Jauron als neuer Head Coach verpflichtet - was sich dann später als Glücksgriff zumindest für Urlacher erweisen sollte - entließ Virginia Halas-McCaskey auch noch ihren Sohn Michael als Präsidenten des Clubs und ersetzte ihn durch Ted Phillips. Phillips, der momentan immer noch als Präsident fungiert, ist der erste Mann außerhalb des Halas-McCaskey-Clans, der die Geschicke der Bears in den Händen hält.

Erst vor diesem Hintergrund lässt sich die Leistung der Bears und im speziellen Urlachers zu jener Zeit entsprechend würdigen. Aber der erste Aufschwung war nur von kurzer Dauer: Die nächsten beiden Spielzeiten brachten einen Rückfall in die alten Zeiten, man entließ Jauron daher so schnell, wie er verpflichtet worden war. Sein Nachfolger wurde 2004 Lovie Smith, der den Bears ab 2005 wieder zu einer erfolgreichen Bilanz verhalf und das Team 2006 schließlich bis in den Super Bowl führte.

In der Saison 2005 fand die Defense der Bears unter der Leitung von Urlacher schnell zu ihrem Rhythmus und trat als geschlossene Einheit auf. Urlacher zeigte immer mehr Führungsqualitäten, sprach Fehler offen und direkt, aber nicht verletzend an. Die Kritiker, die Brian Urlacher bis dahin schon vorgeworfen hatten, zu nett und zu ruhig für den Job zu sein, mussten sich bald eines Besseren belehren lassen. Dass dann im Super Bowl XLI gegen die Indianapolis Colts nicht noch das Tüpfelchen auf das i einer sehr guten Saison gesetzt werden konnte, lag weniger an der Leistung Urlachers, sondern einfach daran, dass die Offense um Rex Grossman nicht den besten Tag erwischt hatte und die Colts einfach zu übermächtig waren.


Der Text stammt aus dem Buch "Die Superstars der NFL" - 196 Seiten - 19,90 Euro.

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