Prime Time

Fährt man den US-Highway 41, der seinen Ausgang im äußersten Norden von Michigan, in Copper Harbor am Lake Superior, nimmt, immer weiter gen Süden, lässt die NFL-Städte Chicago, Indianapolis, Atlanta und auch Tampa links liegen, nimmt dann langsam den Fuß vom Gas, so gelangt man nach über 2.800 Kilometern nach Fort Myers. Man kann gar nicht anders, denn der Highway führt direkt durch die Stadt im Südwesten des Bundesstaates Florida.

Fort Myers ist nach deutschen Maßstäben eine mittelgroße Stadt, vergleichbar vielleicht mit Flensburg. Etwas mehr als 50.000 Einwohner hat die Gemeinde im Süden. Bekannt sind die kilometerlangen Strände, die der Golf von Mexiko hier an Floridas Küste herausgebildet hat. Ein echtes Paradies für Sonnenanbeter und Freunde der maritimen Erholung. Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia spuckt an Auffälligkeiten die hohe Dichte an Gotteshäusern aus - gleich, welche Figur der Religionsstifter abgab. 112 Kirchen stehen aktuell innerhalb der Grenzen der Stadt. Eine pro 500 Einwohner, das ist selbst für US-amerikanische Verhältnisse eine beachtliche Quote. 27 verschiedene Konfessionen teilen die bußfertigen Schäfchen unter sich auf.

Es drängt sich also der Eindruck auf, als seien die Einheimischen in Fort Myers besonders gottesfürchtig und konservativ. Fakt ist, dass Floridas Südwesten einige nicht zu leugnende Verlockungen bereit hält, die einem das Leben - oder alles, was danach kommt - versüßen können. Für den Vergnügungssüchtigen, der genug von der Sonne im Nacken und dem Sand zwischen den Zehen hat, halten Altstadt und die zahlreichen vorgelagerten Inseln genügend Zerstreuung in Form von Barbesuchen und Shoppingtouren bereit. Wobei das mit der Sonne so ein Problem ist, denn sie scheint beinahe ständig. Kurz gesagt: Fort Myers ist beinahe perfekt... Sportlich jedoch gibt es keine spektakulären Durchbrüche zu vermelden, die mit der Qualität der baptistischen Gottesfürchtigkeit schritthalten könnten. Dass dies daran liegen könnte, dass die einheimische Jugend ihre Zeit entweder am Meer oder in der Kirche verbringt, ist Spekulation.

Warum dieser abstrus anmutende Exkurs? Nun, eigentlich müsste der Anfang einer Cinderella-Geschichte ganz anders lauten, gerade in von Pathos geschwängerten Biografien, die die großen Sporthelden unserer Zeit gerne umwehen. Ohne steilen Aufstieg aus zerrütteten Verhältnissen scheint keine adäquate Fallhöhe zu erreichen zu sein. Dramatische, großartige Geschichten müssen demnach im Dreck einer anonymen, zerrütteten Großstadt geboren werden. Vom Tellerwäscher zum Millionär und wieder zurück! Und doch ist auch dies hier eine Geschichte von Aufstieg und Fall, mit allerhand Geld, Glitzer und Glamour - aber auch mit Niederlagen, persönlichen Tragödien und Niederlagen bis hin zu einem versuchten Selbstmord. Denn wie so oft in den USA hat auch die Gesellschaft in Fort Myers zwei Gesichter. Vorne die oben beschriebene städtische Auslegeware und hinter den Fassaden, fernab von den allzeit frisch gepflasterten Bürgersteigen und penibel gesäuberten Stränden, schlummert die Schattenwelt, in der Drogenhandel an der Tagesordnung ist und das Gesetz des Stärkeren die Welt regiert.

Als am Abend des 9. August 1967 die Sonne für einige wenige dankbare Stunden untergeht, hat gerade ein Mensch das Licht der Welt erblickt und gleich die raue Luft der Suburbs zu schnuppern bekommen. Heute - rund 40 Jahre später - füllt Deion Sanders mehrere Bände Sportgeschichte. Deion Luwynn Sanders, wie er von seiner Mutter Constance getauft wird, in späteren Jahren ein janusköpfiger Spitzenathlet, ist ein normales Kind in einer zweigeteilten Stadt.

Fallhöhe? Noch nicht in Sicht... Aber die Gespaltenheit seiner Heimatstadt könnte eine Metapher sein auf das, was dieser junge Mensch in seiner Karriere noch darstellen würde. Dr. Jekyll & Mr. Hyde standen Pate für das Leben dieser schillerndsten Persönlichkeit der jüngeren Sportgeschichte! Zugegeben, es ist nicht ganz einfach, sich ein detailliertes Bild von Sanders, seiner Laufbahn und seiner Persönlichkeit zu machen. Doch wenn man ständig zwischen einzelnen Domänen hin- und herspringt ist das nicht mehr als Selbstzweck. Denn das Faszinosum "Deion Sanders" ist gerade wegen dieser Wechselhaftigkeit ein solches geworden. Deshalb noch schnell eine kurze Einweisung: Es bleibt nichts anderes übrig, als tatsächlich langsam und aufmerksam zu lesen und sich auf dieses manchmal mühsam irritierende Wechselspielchen einzulassen. Nur so kommt man dem Phänomen auf die Schliche, wirklich!

Der 9. August also! Gerade rechtzeitig! Es scheint, als hätte der Mann, den sie später einmal "Prime Time" rufen sollten, auf diesen rechten Moment gewartet, um die Weltbühne zu betreten. Zwei Wochen nach seiner Geburt startet in Deutschland nämlich das Farbfernsehen. Man sollte natürlich nicht den Fehler machen, die Geburt eines späteren Footballspielers über die Maßen zu transzendieren oder gar als Ereignis zu überhöhen, aber dem Betrachter ein Schmunzeln zu entlocken, dafür lässt sich diese offensichtliche Parallelität der Ereignisse allemal hernehmen.

Seine Kindheit jedoch ist nicht dazu geeignet, in lautes Jubelgeschrei auszubrechen. Vielmehr wird der Junge von Kindesbeinen an zum Unmut seiner Mutter mit allem konfrontiert, was die gängigen Klischees über das Aufwachsen in einem Ghetto betrifft. Gang-Kriege sind keine Seltenheit rund um das Gebiet, in dem Deion zu Hause ist, dazu bestimmen Drogen und allerhand zwielichtige Gestalten das Ambiente.

Football spielt er in der "Pop Warner Youth League". Unter dem Dach, der nach dem amerikanischen, in über 300 College-Spielen erfolgreichen, Coach Glenn Scobey "Pop" Warner benannten landesweiten Nachwuchsliga, sind, in regionale Conferences aufgeteilt, rund 240.000 junge Sportler organisiert. Sanders ist sicherlich zusammen mit Joe Montana einer der prominentesten "Ehemaligen" der Liga, aber auch andere spätere Stars wie John Elway, Edgerrin James oder Randy Moss gaben hier in jungen Jahren ihren Einstand. 1975, der junge Deion ist gerade acht Jahre alt geworden, startet er seine Laufbahn bei den Fort Myers Jr. Firecats in der Peace River Conference.

Jahre später - mittlerweile längst ein nationales Sportidol - erinnert er sich in einem Interview mit dem weltbekannten Lifestyle-Magazin Esquire an diese Zeit: "Es wäre der leichteste Weg für mich gewesen, einfach Drogen zu verkaufen. Aber ich hatte mein Training! Meine Freunde, die nicht so dachten wie ich, landeten direkt auf der Straße und sind nie mehr von ihr weg gekommen!" "Drogenhandel war damals so etwas wie der übliche Job in unserer Gegend. Man kam von der High School und wurde Drogendealer", ergänzt er wenig später in der Sports Illustrated. Doch angetrieben von seinem Ehrgeiz widersteht Deion allen Einflüssen und Verlockungen. Er trinkt nicht, er raucht nicht, und während seine Kumpels langsam in die Kriminalität abgleiten, treibt er lieber Sport. Und dies ist - obwohl damals sicher noch kein bewusster Vorgriff auf die spätere Karriere - die bemerkenswerte zweite Seite des Deion Sanders, der sich seine bisweilen grob exzentrischen Momente nur deshalb leisten konnte, weil er - und das wird gerne vergessen - über all die Zeit seiner Laufbahn ein akribischer und disziplinierter Arbeiter gewesen ist. Eine Charaktereigenschaft, die den Jungen immer näher an sein Ziel bringt. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis es so richtig los geht...

Der Text stammt aus dem Buch "Die Superstars der NFL" - 196 Seiten - 19,90 Euro.

Mehr Informationen hier

RegistrierenKennwort vergessen?

Login:

Kennwort:

dauerhaft: