Friedliche Koexistenz

Die NFL-Saison 1966 begann mit einem Schock für die Cleveland Browns. Ihr Star-Running-Back Jim Brown erschien nicht zum Trainingscamp und erklärte dafür schlicht seinen Rücktritt vom aktiven Football. Dies war eine Sensation, denn Brown war schließlich erst 30 Jahre alt. Während seiner neun Jahre in der Liga war er acht Mal der erfolgreichste Running Back der NFL, hatte 126 Touchdowns erzielt und 12.312 Yards Raumgewinn erlaufen, 4.000 Yards mehr als der zu diesem Zeitpunkt Zweitplatzierte in dieser Statistik. Ein Rekord, der ewig Bestand haben würde, so glaubten damals jedenfalls alle. Brown wog 106 Kilo und hatte die Schnelligkeit eines olympischen Sprinters. Neun Jahre fochten Abwehrspieler der ganzen Liga einen ungleichen Kampf. Giants-LB Sam Huff: "Brown war der schnellste Spieler der Liga. Er war so schnell, dass man manchmal glaubte, er sei unsichtbar. Sobald er den Ball hatte, war er verschwunden." Brown war eine "Touchdown-Maschine", die seine Browns fast im Alleingang dreimal ins Endspiel führte (1957, 64 und 65). Viele Zeitzeugen glauben noch heute, dass die Browns die Siegesserie der Green Bay Packers hätten stoppen können, wenn das Team neben Brown noch andere Spitzenspieler gehabt hätte. Nun aber widmete sich Brown seiner Filmkarriere. Und während die Spieler für die neue Saison schwitzten, drehte Brown in England mit "Das Dreckige Dutzend" seinen ersten Film.

Ohne Jim Brown verloren die Cleveland Browns ihren Titel an die Cowboys von Tom Landry, der in Dallas die beste und wohl auch komplizierteste Offense der NFL installiert hatte. Gegner im Endspiel waren wie üblich die Green Bay Packers, welche über die beste Defense der Liga verfügten. Einen besonderen Reiz bezog die Partie auch aus der Konkurrenz der beiden Trainer Landry und Lombardi. Beide hatten als Assistenztrainer in den 50er Jahren zusammen in New York gearbeitet - seltsamerweise aber für den jeweils anderen Mannschaftsteil. Lombardi war damals der Offensive Coordinator gewesen und verfügte jetzt über die beste Defense der NFL, Landry war früher für die Abwehr verantwortlich gewesen und kämpfte nun mit der erfolgreichsten NFL-Offense gegen seinen ehemaligen Teamkollegen.

Das Spiel wurde einer der großen Klassiker der NFL. Nach schneller 14:0-Führung der Packers starteten die Cowboys eine furiose Aufholjagd zum Ausgleich. Nach erneuter Führung der Mannschaft aus Green Bay (34:20) wiederholte sich das Schauspiel, nur mit dem Unterschied, dass der letzte Pass von Cowboys-QB Don Meredith von der Zwei-Yard-Linie der Packers in der Endzone von CB Tom Brown abgefangen wurde. Packers-OG Forrest Gregg sprach aus, was alle seine Mitspieler dachten: "Wir sind erleichtert. Wir hatten eine Menge Glück. Das Spiel hätte auch anders ausgehen können." Nun stand für den NFL-Champion der lang erwartete Schlagabtausch mit den Kansas City Chiefs aus der AFL an.

Am 15. Januar 1967 war es soweit: In Los Angeles trafen zum ersten Mal Mannschaften beider Ligen aufeinander. Dies war seit vielen Jahren der Traum der AFL-Verantwortlichen und Fans gewesen. Schon 1963 hatte Chargers-Coach Sid Gillman als Meister der AFL einen solchen Vergleich gefordert, die NFL jedoch hatte noch desinteressiert abgewunken. Nun war das erste "AFL-NFL-Championship-Game" Realität.

Der Druck auf beide Teams war immens. Die Chiefs wollten unbedingt beweisen, dass sie gleichwertig waren, die Packers auf keinen Fall gegen die Newcomer verlieren. "Wir waren verunsichert. Wir hatten keine Ahnung, wie stark die Chiefs wirklich sind. Wir wussten nur eines. Wir durften auf keinen Fall verlieren. Das wäre eine unbeschreibliche Blamage gewesen", beschrieb Forrest Gregg die Situation später. Die 14-tägige Pause zwischen den Ligaendspielen und dem Super Bowl nutzten Medien und Teams zu einem bis dahin einzigartigen medialen Spektakel. Täglich heizten Wortgefechte von Spielern beider Teams die Atmosphäre an. Doch es nutzte nichts: Das Zuschauerinteresse in Los Angeles blieb gering. Nur 62.000 Zuschauer wollten dieses Spiel sehen. Mehr als 30.000 Karten konnten nicht an den Mann gebracht werden, eine Riesenenttäuschung für die Offiziellen. Es sollte der einzige nicht ausverkaufte Super Bowl bleiben...

Das Spiel selbst konnte die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Die Defense der Packers kontrollierte Spiel und Gegner. Nach einer respektablen Leistung lagen die Chiefs zur Halbzeit nur 10:14 in Rückstand. Danach spielten jedoch nur noch die Packers, siegten am Ende deutlich mit 35:10 und hatten somit bewiesen, dass die NFL der AFL überlegen war. Chiefs-Coach Hank Strams Aussage klang fast wie ein Flehen: "Dieses Spiel sollte nicht das einzige Kriterium sein, wenn man die Stärke der beiden Ligen vergleicht." Aber das wollte zu diesem Zeitpunkt noch niemand hören.

Ein Jahr später wiederholte sich das Schauspiel. Die Opfer der Green Bay Packers waren diesmal die Oakland Raiders, welche sich auf dem Weg zum Meistertitel der AFL mit 40:7 gegen die Houston Oilers durchgesetzt hatten. Das Ergebnis fiel geringfügig enger aus als ein Jahr zuvor. Mit 33:14 dominierten aber wieder die Packers und belegten damit ein weiteres Mal, dass die NFL zu jener Zeit womöglich wirklich die klar stärkere Liga war. Und obwohl die beiden Ligen dieses Spiel offiziell noch nicht Super Bowl nannten, erreichte dieser Name in den Medien bereits eine hohe Akzeptanz.

Das eigentliche Endspiel hatte nach Auffassung der NFL-Fans aber schon 14 Tage zuvor stattgefunden. Im NFL-Finale hatten sich erneut die Green Bay Packers und die Dallas Cowboys gegenüber gestanden. Das Spiel fand am 31. Dezember 1967 in Green Bay unter äußerst widrigen Witterungsbedingungen statt, welche für sich allein schon dieses Spiel zu einem der ganz großen Klassiker machten. Das Thermometer zeigte bei Kickoff sage und schreibe minus 25 Grad Celsius. Für weitere Abkühlung sorgte ein böiger Wind, der die "gefühlte Temperatur" auf minus 40 Grad Celsius absinken ließ. Für alle Beteiligten eine unermessliche Belastung, da weder die heute üblichen technischen Mittel zur Verfügung standen noch die Kleidung der Spieler für solche extremen Temperaturen geeignet war. Zu allem Übel war auch noch die in Green Bay damals schon vorhandene Rasenheizung ausgefallen. Sie war schlicht festgefroren, sodass der Rasen an einigen Stellen einer Eisfläche glich, die man gut mit Schlittschuhen hätte befahren können. An allen übrigen Stellen war der Boden steinhart, was die Standfestigkeit der Spieler negativ beeinflusste. Während des Spiels sah man immer wieder Linienspieler, die mit ihren Schuhen kleine Löcher in den Boden hackten, um so wenigstens ein Minimum an Halt zu finden.

Trotz der arktischen Begleitumstände lieferten sich beide Teams ein äußerst spannendes Spiel, in dem zunächst die Dallas Cowboys auf der Siegerstraße schienen. Wieder hatten sie einen 0:14-Rückstand aufgeholt und diesmal in eine 17:14-Führung verwandelt. 16 Sekunden vor dem Ende standen die Packers an der 1-Yard-Linie der Cowboys, und QB Bart Starr nutzte die letzte Auszeit zur Beratung mit Head Coach Vince Lombardi. Sollten die Packers das scheinbar sichere Field Goal schießen und in die Verlängerung gehen oder einen weitern Versuch starten, vermutlich den letzten in diesem Spiel? Die Konversation mit seinem Coach beschrieb Starr später so: "Ich kann mit einem Quarterback Sneak in die Endzone kommen. Ich bin mir sicher." Lombardis Antwort: "Okay, mach es. Und dann lass uns endlich aus dieser Kälte verschwinden." Gesagt, getan. Trotz schlechtem Stand warf sich Starr erfolgreich hinter seinem rechten Guard Jerry Kramer in die Endzone der Cowboys zum 21:17-Endstand.

Die Konversation zwischen Quarterback und Coach leistete dem Mythos Vorschub, Lombardi hätte angesichts der halb erfrorenen Fans auf das Field Goal verzichtet. Tatsächlich aber vertraute er seinem Quarterback, dass jener die Entscheidung herbeiführen würde. Bei jedem anderen Wetter hätte Lombardi wohl genauso entschieden.


Der Text stammt aus dem Buch "Die Geschichte der NFL" von Holger Korber / Dirk Ladwig / Dieter Hoch - 228 Seiten - 24,90 Euro.

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