Die ersten echten Stars

Ein weiterer dieser Stars war Bronko Nagurski, der an der Universität Minnesota seinen Ruhm dem Einsatz auf vier verschiedenen Positionen verdankte. In der NFL sollte er vor allem als Fullback der Chicago Bears für Furore sorgen, obwohl er von den körperlichen Ausmaßen eher dem damaligen Ideal eines Linienspielers entsprach. Mit etwa 105 Kilo Körpergewicht war er gut 30 Kilo schwerer als der berühmte Grange, für den er auch oft als Vorblocker agierte. Nagurski drückte den Bears sportlich seinen Stempel auf. Dank seiner körperlichen Ausmaße war es der gegnerischen Abwehr nur mit massiven kombinierten Attacken möglich, Nagurski zu stoppen. Ein Running Back, der so viel wog wie die Defensive Linemen seiner Zeit, ließ diese bei ihren Tackle-Versuchen oft hilflos aussehen.

Zahlreiche Legenden ranken sich um den ersten "Power Runner" der NFL. So soll Steve Owens, Coach der New York Giants, auf die Frage, wie man Nagurski stoppen könne, geantwortet haben: "Mit einem Gewehr, wenn er die Kabine verlässt." Eine weitere solche Anekdote, die die Härte und Zähigkeit von Nagurski beschreibt, bezieht sich auf einen Ausspruch von ihm während des Endspiels 1933. Nagurski hatte sich in seiner unnachahmlichen Art mit nach unten gebeugtem Kopf zunächst durch die Reihen der Abwehrspieler getankt, dabei zahlreiche Tackle-Versuche unbeschadet überstanden und gar nicht registriert, dass er bereits die Endzone erreicht hatte. In vollem Tempo rannte er in die kurz hinter der Endzone befindliche Außenmauer des Stadions. Leicht benommen soll er kurz und trocken erklärt haben: "Wow, der letzte Mann hat mich ganz schön hart erwischt."

Bis 1938, als er George S. Halas und die Bears im Streit ums liebe Geld verließ, um eine Karriere als Wrestler zu beginnen, waren die Bears sein Team. Mit einer eigens für ihn installierten T-Formation schöpfte Coach Ralph Jones das Potenzial von Nagurski voll aus. Mit seinen kraftvollen Läufen erreichten die Bears viermal das Endspiel und gewannen zwei Meistertitel. 1943 verhalf er seinen durch den Krieg in Personalnot geratenen Bears zu einer weiteren Meisterschaft.

Als Nagurski seine Laufbahn 1930 begann, gab es in der NFL noch kein Endspiel. Der Meister wurde durch die Liga ernannt und war meistens die am Saisonende die Tabelle anführende Mannschaft. Manchmal aber auch nicht, wie wir inzwischen erfahren mussten. Die Idee, ein Endspiel einzuführen, erschien zu diesem Zeitpunkt noch völlig absurd. Der Zufall musste nachhelfen, die wohl beste Idee der NFL in die Tat umzusetzen. Die Saison 1932 endete in einem für die NFL eher ungewöhnlichen Dilemma. Am Saisonende standen die von Nagurski angeführten Chicago Bears (6 Siege, 1 Niederlage, 6 Unentschieden) und die Portsmouth Spartans mit ihrem Star Earl "Dutch" Clark (6-1-4) gleichauf an der Tabellenspitze. Unentschieden wurden zu jener Zeit beim Tabellenstand gar nicht berücksichtigt. Joe Carr arrangierte aus diesem Grund ein "Playoff Game" zwischen diesen beiden Teams. Die drittplatzierten Green Bay Packers verpassten mit zwar zehn Siegen, aber drei Niederlagen derweil ihren vierten Titel in Folge.

Carr hatte das Spiel auf den 18. Dezember 1932 in Chicago terminiert. Pech war nur, dass einige Tage vor diesem Termin ein schwerer Sturm die Stadt in eine Schneelandschaft verwandelte. Der Schnee soll laut Berichten hüfthoch in der Stadt gelegen haben. Ein bespielbares Stadion war in Chicago und Umgebung nicht zu finden, aber Halas hatte die rettende Idee. Zwei Jahre zuvor hatte er mit seinen Bears ein Wohltätigkeitsspiel gegen die Chicago Cardinals im Chicago Stadium absolviert, einer Halle, in der das Eishockey-Team der Chicago Black Hawks seine Heimspiele austrug. Hier sollte nun das große Match steigen. Allerdings hatte dort unmittelbar zuvor ein Zirkus Station gemacht und einen entsprechenden Untergrund hinterlassen. Neben allerlei Dreck berichteten Spieler auch über einige Portionen Elefantendung im weiten Rund. So saßen die 11.198 Zuschauer zwar warm und trocken, wurden aber auch einer nicht zu unterschätzenden Geruchsbelästigung ausgesetzt...

Und auch in sportlicher Hinsicht gab es einige Hürden zu meistern. Das Feld war nur 80 Yards lang. Um dennoch über 100 Yards zu spielen, einigte man sich auf einige Regelmodifizierungen. Wann immer ein Team im Angriff mit dem Ball die Mittellinie überquert hatte, wurde das nächste Anspiel um 20 Yards zurückverlegt, um zumindest "virtuell" 100 Yards zur Verfügung zu haben. Die Endzonen waren an den Ecken abgerundet, weil es sich ja eigentlich um eine Eishockeyfläche handelte. Field Goals waren nicht erlaubt, den Kickoff mussten die Teams von der 10-Yard-Linie ausführen. Die wichtigste Änderung betraf aber die Seitenauslinien. Diese waren identisch mit den Eishockey-Banden, was eine erhebliche Verletzungsgefahr bedeutete. Dies war die Geburtsstunde von "Hash Marks" im Football. Es wurde vereinbart, dass jeder Spielzug mindestens 10 Yards von der Seitenlinie entfernt beginnen musste. Was als Verletzungsprävention gedacht war, eröffnete dem Spiel völlig neue taktische Dimensionen.

Das Spiel selbst entschied schließlich Bronko Nagurski mit einen Touchdown-Pass auf Harold "Red" Grange für die Chicago Bears. Aus einer Kontroverse um diesen Touchdown wurde letztlich eine weitere für die Entwicklung der NFL entscheidende Neuerung geboren. Die Portsmouth Spartans machten geltend, dass Grange zum Zeitpunkt des Wurfs weniger als die damals für einen Passversuch vorgeschriebenen fünf Yards hinter der Line of Scrimmage Line positioniert gewesen war. Alle ihre Proteste halfen aber nichts. Wenig später bescherte Spartans-Punter Mule Wilson durch einen verlorenen Snap den Bears zwei weitere Punkte zum 9:0-Endstand.

Fans und Medien hatte das Spiel jedoch ausgesprochen gut gefallen, so dass die Liga gravierende Änderungen der Regeln für die Saison 1933 beschloss. Die Liga wurde in zwei Divisionen zu je fünf Teams geteilt. Beide Divisionssieger kämpften nun in einem von vornherein geplanten Endspiel um den Meistertitel. Die Hash Marks avancierten zum festen Bestandteil der Regeln. Ligachef Carr hob auch die Einschränkungen beim Passspiel auf, seither ist es erlaubt, von jedem Punkt hinter der Line of Scrimmage einen Pass zu werfen. Nur dadurch konnte das Passspiel sich in der Folge von einer reinen Verzweiflungsmaßnahme zu einem echten Bestandteil der Angriffsphilosophie entwickeln. Ein weiterer damals revolutionärer Vorschlag wurde jedoch abgelehnt. Die Idee, ein Spiel bei Punktgleichstand durch eine zehnminütige Verlängerung zu entscheiden, fand noch keine Mehrheit.

Die beschlossenen Änderungen führten zu einem attraktiveren Spiel mit deutlich mehr Pässen, wie es schon 1933 in einem dramatischen Endspiel exemplarisch zu erleben war. In diesem ersten "offiziellen" Meisterkampf zwischen den Chicago Bears und den New York Giants (23:21) begeisterten zahlreiche Trick- und lange Passspielzüge die Zuschauer. Die Führung wechselte sieben Mal, die Fans waren verzückt. Davon animiert veränderte die Liga 1934 auch noch die Form des Balles. Aus dem Rugby-Ei wurde das heute noch genutzte schlankere Spielgerät. Dadurch wurden Pässe noch mehr erleichtert. 1935 wurden dann die Hash Marks um weitere fünf Yards nach innen verlegt, sie waren damit bereits 15 Yards von der Seitenauslinie entfernt. Die fundamentalen Eckdaten für das heutige Spiel waren gelegt.

Die sportlichen Verbesserungen steigerten die Popularität. 1934 begann die NFL ihre Serie von Spielen am Thanksgiving Day. Die erste Partie bestritten die ehemaligen Portsmouth Spartans, die gerade nach Detroit umgezogen waren und nun als Lions firmierten, gegen die Chicago Bears. Diese Partie ging auch deswegen in die Geschichte ein, weil erstmals ein komplettes Spiel live im Radio übertragen wurde. Dank CBS wurden so auch Radiohörer Zeugen eines 19:16 der Bears.

Eine weitere Neuerung kam ebenfalls 1934 hinzu. Als Eröffnungsspiel der Footballsaison bestritt der NFL-Meister des Vorjahres ein Wohltätigkeitsspiel gegen eine Auswahlmannschaft aus den besten College-Spielern des Landes, das so genannte Chicago All-Star-Game. Die erste Partie zwischen den Bears und den All-Stars endete 0:0. Mit dem Chicago All-Star-Game wurde eine Tradition begründet, die erst 1976 wieder endete, als die Überlegenheit der Profis diesem Spiel seinen sportlichen Reiz genommen hatte.

Aber auch eine negative Neuerung hat es wohl ein Jahr zuvor, 1933, gegeben. In einer geheimen Absprache sollen sich die NFL-Eigentümer darauf geeinigt haben, keine schwarzen Spieler zu verpflichten. Zwar gibt es keine definitiven Beweise, aber doch zahlreiche Hinweise auf eine derartige Vereinbarung. Die Beteiligten haben eine Abmachung stets geleugnet und das Fehlen von schwarzen Spielern in den NFL-Teams zwischen 1934 und 1945 stets als eine Art von Naturphänomen dargestellt. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurden Afro-Amerikaner wieder in der NFL aktiv.

Eine Legende ist auch die gern erzählte Geschichte, Art Rooney hätte das Geld, um seine Pittsburgh Pirates (die später in Steelers umbenannt wurden) 1933 in die Liga zu bringen, beim Pferderennen gewonnen. Tatsächlich hat Rooney zwar 300.000 Dollar auf diese Weise "verdient", allerdings erst 1937, vier Jahre nachdem er die NFL-Lizenz für die Pirates erworben hatte. Wahr ist allerdings, dass er das gewonnene Geld dann umgehend in sein Footballteam investierte. Die Pittsburgh Pirates verschafften der NFL neben den Philadelphia Eagles ein zweites Standbein in der ehemaligen Football-Hochburg in Pennsylvania.

Der Text stammt aus dem Buch "Die Geschichte der NFL" von Holger Korber / Dirk Ladwig / Dieter Hoch - 228 Seiten - 24,90 Euro.

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