Als Lamar Hunt mit anderen verwegenen Jung-Millionären die Pläne für die AFL ab 1960 verkündete, ließ NFL Commissioner Bert Bell sogar noch ausrichten, dass die NFL viel Glück bei den spinnerten Luftschlössern wünsche und darin keine Konkurrenz für sich sähe. Hunt jedoch war überzeugt davon, die von Bell geführte NFL im Handstreich binnen weniger Jahre in den Ruin treiben oder übernehmen zu können. Sein Kalkül war damals nicht völlig abwegig. Aber auch er konnte nicht ahnen, dass nach Giants-Gründer Mara im Februar 1959 auch Bell im Oktober des selben Jahres - nach einem Herzinfarkt auf der Eagles-Tribüne - sterben würde.
Dies verschob die Machtverhältnisse in der NFL. Die mahnenden Stimmen, dass Stillstand Rückschritt sei, wurden jetzt erhört. Das "Imperium" beschloss nun ganz schnell, in Vorwärtsverteidigung zurückzuschlagen. Schritt eins war, den Investoren in Minnesota mitzuteilen, nun doch einen Platz in der NFL für ihre Vikings gefunden zu haben. Diese zogen daraufhin ihre Zusage an Hunt zurück und kehrten dem AFL-Projekt den Rücken, um ab 1961 in der NFL zu spielen. Ihr AFL-Platz ging stattdessen an die Oakland Raiders mit Al Davis, was im Nachhinein die NFL-Geschichte ungemein belebte, manche Zeitgenossen bei späteren Ligaverhandlungen aber wohl an den Rand des Wahnsinns getrieben haben dürfte.
Schritt zwei war ein Frontalangriff auf Hunt persönlich: Ein anderer Öl-Magnat aus Dallas, Clint Murchison Jr., der sich ein paar Jahre zuvor beim Versuch, die Washington Redskins zu kaufen, mit deren Owner Marshall völlig überworfen hatte, weil jener im letzten Moment Vertragspassagen noch einmal heimlich ändern wollte, kam jetzt Hals über Kopf zum Zuge. Marshall zog sein Veto gegen Murchison als Besitzer eines NFL-Teams zurück (wobei auch Murchison nicht wirklich auf die feine englische Art vorging und die Rechte an der Club-Hymne "Hail to the Redskins" gekauft hatte, um Marshall zu erpressen). So erhielt nun Murchison von der NFL den Auftrag, Hunts von Bell noch verlachte Vision von einem texanischen Profi-Football-Team, das alle anderen in punkto Ausstrahlung immer einen Tick übertrifft, quasi also "Americas Team" wird, umzusetzen. Willkommen, Dallas Cowboys!
Aus damaliger Sicht waren Dallas und Washington geradezu "NFL-Nachbarn". Nicht nur die Animositäten zwischen den Ownern und die Namensgebung der beiden Teams, welche damals noch recht unbefangen nicht unbedingt vor ihrem tatsächlichen historischen Hintergrund verstanden, sondern naiv von Hollywood-Western geprägt wurde, begründeten schnell eine Rivalität, die wohl keine Neueinteilung von Gruppen in der NFL jemals auseinanderreißen könnte. So dachte man damals, und auch heute passt ja kein Blatt zwischen Dallas und Washington. Doch sowohl Vikings als auch Cowboys spielen nur infolge eines Zufalls von 1970 (hier mehr dazu) in den Divisionen, in die sie "natürlich" hineingehören.
Für Marshall in Washington war der Deal mit Murchison und den Cowboys eine schwer zu schluckende Kröte. Jahrzehntelang war Washington an der Ostküste der südlichste NFL-Standort gewesen. Daraus leitete Marshall ab, dass alles südlich von Washington "sein" NFL-Territorium bleiben müsste, wie es seit den 30er Jahren (ungeschriebenes) Gesetz war. Dass in Atlanta eine koffeinhaltige Brause gebraut wurde, die Amerikas Jugend gerade verdarb, dass in Florida Orangen geerntet und in Texas nach Öl gebohrt wurde, war dem erzkonservativen Herrscher des Footballs in Washington sicherlich bekannt. Doch sollte dieser neu entstehende Reichtum eigentlich weiter als Tribut aus dem Hinterland an seinen Club in der Hauptstadt fließen. Kalifornien war weit weg - Dallas aber war eine Art Dammbruch: Die New Economy des Südens schickte sich an, den alteingesessenen adelsgleichen Familien des Nordostens in der NFL auf den Pelz zu rücken. Marshalls diffuse Ur-Ängste dieser Art sollten sich später in etwa so auch bewahrheiten.
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Die Divisionseinteilung der NFL
Teil 1: Geografie kein Kriterium?
Teil 2: Der Ursprung der Gruppeneinteilung
Teil 3: Die geschluckte Konkurrenzliga
Teil 4: Die Colts in Texas-Blau
Teil 5: Gründung der AFL
Teil 6: Plötzlich doch: die NFL-Expansion der 60er Jahre
Teil 7: Vordenker Lamar Hunt als Dealmaker
Teil 8: Fusion 1970: Drei NFL-Teams für die AFC
Teil 9: NFC-Divisionen per Losentscheid
Teil 10: Ziel: Eine NFL mit 30 Teams
Teil 11: Der Fall Cleveland
Teil 12: Das große "Realignment" von 2002
Die Dallas Cowboys und deren Mega-Show waren eine der Antworten der NFL auf die Konkurrenz. (© Getty Images)