Vier Downs für zehn Yards
Mit Ausnahme von verlorenen Fumbles oder Interceptions bleibt der angreifenden Mannschaft im American Football der Ballbesitz garantiert - wenn sie mit maximal vier Versuchen an Spielzügen insgesamt mindestens zehn Yards vorwärts kommt. Im Stadion wird die jeweils zu erreichende 10-Yard-Strecke an den Seitenlinien durch große aufrechte Markierungen angezeigt (im TV-Bild werden meist Linien und in jedem Fall die Zahlenangaben eingeblendet), auch der wievielte "Down" gespielt wird, wird durch einen dritten Marker an der Seitenlinie verkündet. Sind die zehn Yards geschafft, gibt es ein "First Down", einen neuen ersten Versuch. Die nächsten zehn Yards rechnen dann ab der Stelle des Anspiels zu diesem Down.
Schafft ein Team die zehn Yards nicht, darf die andere Mannschaft danach den Ball anspielen und kommt in den Angriff. Allerdings kommt ein vergebener vierter Versuch selten vor. Denn in Wirklichkeit ist das Risiko in den allermeisten Fällen zu groß, es überhaupt mit einem vierten Anlauf zu versuchen, wenn es vorher schon nicht geklappt hat. Daher bietet es sich eher an, hier die Chance auf ein Field Goal und damit wenigstens drei Punkte zu suchen, wenn man nahe genug am gegnerischen Tor ist. Ist man dies nicht, spielt man im vierten Versuch meistens einen "Punt", einen langen Befreiungsschlag eines Spielers mit dem Fuß. Der Gegner kommt danach ebenfalls in Ballbesitz, allerdings viel weiter entfernt von unserer Endzone.
Für Football-Neulinge sind die ständigen Unterbrechungen gewöhnungsbedürftig. Ein "Spielfluss" wie in anderen Ballsportarten kommt nicht auf (beziehungsweise versteht man beim Football unter "Spielfluss" oder dem "Rhythmus" eines Teams etwas anderes). Ein Spielzug dauert wenige Sekunden, dann platzieren die Schiedsrichter den Ball auf der neuen Anspielposition, die Spieler nehmen wieder ihre "Anfangspositionen" ein, und es dauert bis zu 40 Sekunden, ehe der Ball wieder ins Spiel kommt. Oder noch länger, wenn nämlich das Angriffsrecht wechselt und beide Mannschaften alle Spieler auswechseln. Und dann der übertragende TV-Sender auch noch einen Werbeblock eingeplant hat...
Das Ganze hat allerdings einen unschätzbaren Vorteil. Wer mal auf verzweifelt in ihrer Coaching-Zone brüllende Fußballtrainer geblickt hat, die versuchen zu verhindern, wie ihrer Mannschaft ein Spiel entgleitet, kann dies leicht verstehen: Erst durch seine vielen Unterbrechungen ist American Football zu einer solch strategischen Angelegenheit geworden, teilweise eben "Schach auf dem Rasen". Spieler dürfen in beliebiger Menge zwischen Spielzügen ausgewechselt werden. Trainerstäbe umfassen in der Regel ein Dutzend sichtbare Leute an der Seitenlinie und ungezählte Helfer an strategisch wichtigen Stellen im Stadion mit allen denkbaren anderen Perspektiven aufs Feld.
Cheftrainer ("Head Coach") oder einer der beiden Koordinatoren für Angriff und Verteidigung (Offensive Coordinator und Defensive Coordinator) lassen all diese Informationen in Echtzeit in ihre Entscheidungen einfließen. Nicht nur das, sie können sie jederzeit (jedenfalls zwischen den Spielzügen) direkt detailliert an ihre Spieler kommunizieren, vor jedem Anspiel andere Aufstellungsvarianten anordnen und so jeweils für die ganz konkrete, einzelne Spielsituation ihre taktische Vorgabe nahezu ungefiltert aufs Feld bringen.
Das "Miträtseln" darüber, wie eine Mannschaft und deren Spieler sich in der jeweiligen Spielphase taktisch verhalten sollten, macht schließlich für Fans im Stadion oder vor dem Fernseher einen großen Reiz aus. Beim American Football bleibt in den Unterbrechungen dafür genügend Zeit und wenn man zu mehreren guckt, stört es auch nicht, kurz darüber miteinander zu diskutieren - man verpasst ja nichts.
Weiter: Münzwurf mit Fallstricken
Zurück: Touchdowns, Field Goals und Safetys
Wie funktioniert American Football
Teil 1: Eigentlich ist alles einfach
Teil 2: Lauf- und Passspiel
Teil 3: Touchdowns, Field Goals und Safetys
Teil 4: Vier Downs für zehn Yards
Teil 5: Münzwurf mit Fallstricken
Teil 6: Mit dem Kickoff geht es los
Teil 7: Start der echten Action: der Kickoff Return
Teil 8: Fouls im American Football
Teil 9: 15 Yards Strafe für schwere Fouls
Teil 10: Das Holding
Teil 11: Die „technischen“ Fouls
Teil 12: Die korrekte Startformation im Angriff
Teil 13: „Free Plays“ der Offense nach Defense-Fouls
Teil 14: Linienspieler zuerst im Fokus
Teil 15: Die Offensive Linemen
Teil 16: Die Ends im Angriff
Teil 17: Die Backs der Offense
Teil 18: Grundaufstellungen der Verteidigung
Teil 19: Pass Rush
Teil 20: Mann- oder Zonendeckung gegen den Pass?
Teil 21: Einfluss der Feldposition auf die Taktik
Teil 22: Gefahr in der eigenen Red Zone
Teil 23: Alle Optionen im "Mittelfeld"
Teil 24: „Schattenboxen“ zu Beginn
Teil 25: Geduld und Strategie zählen
Teil 26: Der vierte Versuch
Teil 27: Mut zum Risiko?
Teil 28: Der Punt und andere Kicks
Teil 29: Die Macht über die Spielzeit
Teil 30: Comeback-Versuche
Teil 31: Hail Mary!
Teil 32: Die Auszeiten
Teil 33: Nur der Sieg zählt - notfalls nach Verlängerung
Teil 34: Die Mathematik der Football-Scores
Äh - welcher Versuch ist gerade dran? (© Tillmann)