Die Mathematik der Football-Scores

Abgerechnet wird am Schluss.Die amerikanische Tradition, unbedingt einen Sieger für ein Sportereignis finden zu wollen und Unentschieden möglichst zu vermeiden, spielt beim American Football nicht nur in Verlängerungen, sondern auch davor bereits bei der Taktik hinsichtlich der Extrapunkte nach einem Touchdown eine Rolle. Haben beide Mannschaften zu ihren Touchdowns im Spiel je einen Zusatzpunkt per Kick erzielt (was häufig der Fall ist, wenn nicht wegen der Zwischenresultate im Verlauf andere Varianten gewählt wurden - siehe den folgenden Absatz), hat ein kurz vor Schluss nach Touchdowns "ausgleichendes" Team noch diesen fehlenden Zusatzpunkt Rückstand. Es steht beispielsweise 27:28. Mit einem Kick holt man nun den beinahe sicheren Punkt und schickt das Spiel damit in die Verlängerung. Spielt man einen Versuch aus, um noch einmal in die Endzone zu kommen, bekommt man null oder zwei Punkte, verliert oder gewinnt also mit einem Punkt Unterschied. Der Trend der amerikanischen Coaching-Philosophie geht in jüngster Vergangenheit deutlich dahin, hier auf das Risiko zu setzen, auf den Kick zu verzichten und die Entscheidung mit diesem einen Spielzug herbeizuführen.

Angestrebt wird natürlich von der führenden Mannschaft, ein Spiel möglichst frühzeitig zu entscheiden. Dazu gehört auch, schon in den frühen Phasen einer Partie immer den augenblicklichen Spielstand und die verbleibende Spielzeit in die eigene Taktik einfließen zu lassen. Beim Spielstand sind dabei vor allem die durch das Wertungssystem von Punkterfolgen besonderen Marken zu beachten: drei Punkte Vorsprung oder Rückstand, weil ein Field Goal soviel zählt, acht Punkte, weil dies die Maximalzahl ist, die eine Mannschaft mit einem Ballbesitz aufholen kann. Sowie natürlich die vielen denkbaren Kombinationen. Mehr als elf Punkte (acht plus drei) Vorsprung oder Rückstand bedeuten, dass nur zwei Touchdowns das Spiel binnen zwei Serien drehen können. Bei über 16 Punkten braucht es mindestens drei Punkterfolge, bei über 19 sogar noch unter der Voraussetzung, dass nach Touchdowns auch die Two Point Conversions gelingen müssten.

Das Gleiche gilt natürlich andersherum. Geht ein Team mit bestimmten Punktzahlen in Führung, empfiehlt sich zuweilen der Versuch, lieber zwei Punkte statt einem anzupeilen. Erhöhen wir mit den sechs Punkten aus einem Touchdown zum Beispiel auf 28:16, dann sind die zwölf Punkte bereits mehr wert als ein Touchdown plus ein Field Goal. Ein 29:16 verändert daran nichts, ein 30:16 schon, denn dann kann der Gegner mit zwei Sieben-Punkt-Touchdowns nur ausgleichen, für eine Führung müsste er schon selbst ins Risiko gehen. Ähnlich wäre es, wenn wir gerade mit dem Touchdown 35:20 in Führung gegangen wären. Nun bringen uns zwei weitere Punkte 17 Zähler Vorsprung - der Gegner müsste also dreimal punkten, anders als bei "nur" 16 Punkten Vorsprung, die mit zwei Touchdowns plus Conversions wettzumachen wären.

Damit steigen wir doch ein wenig in die komplizierteren Gedankengänge der Coaches ein, aber darin liegt ja auch ein Teil des Spaßes, den es macht, ein Spiel zu verfolgen und nach und nach immer besser zu verstehen. Übrigens: Solche Dinge, wie darüber zu entscheiden, wann PAT-Kick und wann Conversion sinnvoller sind, erledigen auch die besten der Top-Coaches nicht ohne Spickzettel. Vorab ist festgelegt und notiert, bei welchem Vorsprung oder Rückstand was zu tun ist. In der Hektik des Spielgeschehens wird auf den Zettel geschaut und einfach abgelesen, was zu tun ist.

Dabei kann in diesem Fall heutzutage vielleicht auch ein Tablet-Computer den Papierzettel ersetzen - bei anderen Hilfsmitteln ist das kaum möglich. Beim genauen Hinsehen entdeckt man am Arm vieler Quarterbacks ebenfalls eng beschriftete Spickzettel. Möglichst viele unterschiedliche Spielzüge, die das Team vorbereitet und trainiert hat, machen den Erfolg schließlich aus. Diese müssen dann auch noch so codiert benannt sein, dass kein Gegner aus aufgeschnappten Kommandos oder Sprachfetzen Rückschlüsse darauf ziehen kann, was als nächstes geplant ist. Also gibt es Codes wie bei Geheimagenten im Film, und irgendwann ist es auch für den klügsten Quarterback einfach sicherer, für die paar Sekunden, die er zur Verfügung hat, um den Mitspielern klar zu machen, was als nächstes gespielt wird, eine schriftliche Erinnerungsstütze zu haben.

Wir lehnen uns dagegen als frisch gebackene "Armchair Quarterbacks" zurück, schauen einfach zu, was aus dem Spielzug wird - und hätten es natürlich von vornherein besser gewusst, wenn etwas schief gelaufen ist...

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Ist Football kompliziert?

Teil 1: Eigentlich ist alles einfach

Teil 2: Lauf- und Passspiel

Teil 3: Touchdowns, Field Goals und Safetys

Teil 4: Vier Downs für zehn Yards

Teil 5: Münzwurf mit Fallstricken

Teil 6: Mit dem Kickoff geht es los

Teil 7: Start der echten Action: der Kickoff Return

Teil 8: Fouls im American Football

Teil 9: 15 Yards Strafe für schwere Fouls

Teil 10: Das Holding

Teil 11: Die „technischen“ Fouls

Teil 12: Die korrekte Startformation im Angriff

Teil 13: „Free Plays“ der Offense nach Defense-Fouls

Teil 14: Linienspieler zuerst im Fokus

Teil 15: Die Offensive Linemen

Teil 16: Die Ends im Angriff

Teil 17: Die Backs der Offense

Teil 18: Grundaufstellungen der Verteidigung

Teil 19: Pass Rush

Teil 20: Mann- oder Zonendeckung gegen den Pass?

Teil 21: Einfluss der Feldposition auf die Taktik

Teil 22: Gefahr in der eigenen Red Zone

Teil 23: Alle Optionen im "Mittelfeld"

Teil 24: „Schattenboxen“ zu Beginn

Teil 25: Geduld und Strategie zählen

Teil 26: Der vierte Versuch

Teil 27: Mut zum Risiko?

Teil 28: Der Punt und andere Kicks

Teil 29: Die Macht über die Spielzeit

Teil 30: Comeback-Versuche

Teil 31: Hail Mary!

Teil 32: Die Auszeiten

Teil 33: Nur der Sieg zählt - notfalls nach Verlängerung

Teil 34: Die Mathematik der Football-Scores

Abgerechnet wird am Schluss.

Abgerechnet wird am Schluss. (© Tillmann)

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