Der vierte Versuch

Die Chain Crew muss ab und an nachmessenWas tut im American Football die Mannschaft im Ballbesitz, wenn es im dritten Versuch nicht gereicht hat, die erforderlichen zehn Yards zu schaffen? Nun, kommt darauf an... Maßgebliche Faktoren sind hierbei Feldposition, die fehlenden Yards (hierbei aber eher gemessen in Inches) zum First Down, Spielstand und verbleibende Spielzeit. Gehen wir zu Beginn eines Spieles von einem 0:0-Unentschieden oder jedenfalls insgesamt bisher wenig Punkten aus, richten wir uns vor allem nach der Feldposition. Als erstes ist zu klären, wie hoch die Chancen sind, mit einem Spielzug doch noch zum First Down zu kommen.

Dieses müsste aber ein so gut wie risikoloser Spielzug sein. Zur Vereinfachung wird zwar in Football-Statistiken immer mit vollen Yards gerechnet, hier sollten wir aber tatsächlich in "Inches", also einem Zwölftel-Yard rechnen. Der Gegner würde sich massiv in der Mitte aufbauen, auch bei uns müssten mehr oder weniger alle Kraftpakete vorn kräftig schieben. Der Ballträger dahinter schafft da womöglich ein paar Inches und sollte wohl auch den Ball festhalten können. Alle anderen Varianten müssen sich am Risiko im Vergleich dazu messen lassen. Passversuche bringen in etwa einem Drittel der Fälle keinen Fang, unter dem Druck in dieser Situation ist das Chance-Risiko-Profil eher ungünstiger. Ein Lauf außen herum ist aus dieser Formation mit personeller Ballung im Zentrum auch schwierig, und wenn wir uns in eine andere Formation stellen, verlieren wir von vornherein die Option auf die durch den zumindest halbwegs sicheren Krafteinsatz in der Mitte zu holenden Inches.

Wie viele Inches genau es sind, wissen wir deswegen, weil in einer solchen knappen Situation die Schiedsrichter tatsächlich exakt nachgemessen haben. Nach dem dritten Down waren wir ja offensichtlich so nahe am Ziel, dass sich keiner mehr allein aufs Augenmaß verlassen konnte. In diesem Fall wird der Ball von den Schiedsrichtern da platziert, wo sie das Spielzugende verortet haben. Anschließend kommen die Assistenten von der Außenseite, die die exakt zehn Yards lange Kette halten und verwalten, direkt aufs Feld und messen nach. "Geeicht" wird die Kette an der nahe liegendsten durchgehend über das Feld gezogenen Yard-Linie, indem ein kleiner Clip an ihr an der Position dieser Linie befestigt wird. Auf dem Feld kann sie so korrekt positioniert werden, und dann wird vorne gezogen, bis sie straff gespannt ist. Unser freundlicher Hauptschiedsrichter signalisiert anschließend mit den Fingern ganz genau, wie viel fehlt - etwa so, als würde er uns beim Einparken helfen wollen.

Scheitern wir, bekommt der Gegner den Ballbesitz an dieser Stelle. Dieses Risiko ist bei allem Optimismus in den allermeisten Fällen das entscheidende Kriterium. Sind wir noch in der eigenen Hälfte, ist das First Down ja nur ein kleiner Teilerfolg, nach dem wir immer noch (fast) genau so weit vom Touchdown entfernt sind wie vorher. Die Faustregel war über viele Football-Jahrzehnte, dass so etwas in der eigenen Hälfte und vielleicht bis kurz über die Mittellinie hinaus nur etwas für Hasardeure ist. Mit dem Einzug der digitalen Vermessung des Spielgeschehens hat im 21. Jahrhundert aber ein mehr mathematischer Blick auf die Risikoabschätzung bei einigen Coaches Eingang in die Überlegungen gefunden. Die Theorie ist, dass es langfristig vielversprechender ist, eben doch auf ausgespielte vierte Versuche zu setzen. Einige Coaches testen dies ausgiebig in der Praxis, aber ob es nur der eigenen Profilierung dient oder ihr Team tatsächlich zum größeren Erfolg bringt als vorher, ist noch offen. Das Mittel der Wahl bleibt bei der Mehrzahl der Teams weiter der Punt, der Befreiungsschlag per Schuss möglichst weit in die gegnerische Hälfte.

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Ist Football kompliziert?

Teil 1: Eigentlich ist alles einfach

Teil 2: Lauf- und Passspiel

Teil 3: Touchdowns, Field Goals und Safetys

Teil 4: Vier Downs für zehn Yards

Teil 5: Münzwurf mit Fallstricken

Teil 6: Mit dem Kickoff geht es los

Teil 7: Start der echten Action: der Kickoff Return

Teil 8: Fouls im American Football

Teil 9: 15 Yards Strafe für schwere Fouls

Teil 10: Das Holding

Teil 11: Die „technischen“ Fouls

Teil 12: Die korrekte Startformation im Angriff

Teil 13: „Free Plays“ der Offense nach Defense-Fouls

Teil 14: Linienspieler zuerst im Fokus

Teil 15: Die Offensive Linemen

Teil 16: Die Ends im Angriff

Teil 17: Die Backs der Offense

Teil 18: Grundaufstellungen der Verteidigung

Teil 19: Pass Rush

Teil 20: Mann- oder Zonendeckung gegen den Pass?

Teil 21: Einfluss der Feldposition auf die Taktik

Teil 22: Gefahr in der eigenen Red Zone

Teil 23: Alle Optionen im "Mittelfeld"

Teil 24: „Schattenboxen“ zu Beginn

Teil 25: Geduld und Strategie zählen

Teil 26: Der vierte Versuch

Teil 27: Mut zum Risiko?

Teil 28: Der Punt und andere Kicks

Teil 29: Die Macht über die Spielzeit

Teil 30: Comeback-Versuche

Teil 31: Hail Mary!

Teil 32: Die Auszeiten

Teil 33: Nur der Sieg zählt - notfalls nach Verlängerung

Teil 34: Die Mathematik der Football-Scores

Die Chain Crew muss ab und an nachmessen

Die Chain Crew muss ab und an nachmessen (© Zelter Media Service)

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