Für die Angreifer im American Football hellt sich etwa ab der eigenen 20-Yard-Linie die Situation deutlich auf. Hinten ist nun genügend Sicherheitspuffer, vorn bietet ein ganz großes, weites Feld jede Menge Angriffspunkte. Die elf Verteidiger müssen nun mit allem rechnen. Selbst mit einem Kurzpass ins Zentrum oder einem Lauf in der Mitte sind hier einige Yards extra drin, denn die Defense kann sich nicht nur in der Mitte konzentrieren. Weite Pässe enden oft in einem kurzen Laufduell von Receiver und einem einzelnen Verteidiger, der den Fang kaum verhindern kann, wenn der Ball halbwegs präzise geworfen wird.
So wird bei einem laufenden Angriff die Mittellinie häufig nahezu fliegend überquert. Einzelne Spielzüge, die gleich zehn Yards oder mehr für ein neues First Down bringen, sind nicht selten und können auch in Serien kommen. Und auch wenn es bei einem ersten Versuch "nur" acht oder neun Yards Raumgewinn sind, hat dies besondere Vorteile. Denn die verbleibende Distanz von ein oder zwei Yards zum First Down schafft man normalerweise, indem alle verfügbaren Blocker in der Mitte mächtig schieben, ein kräftiger Running Back oder der mutige Quarterback sich dahinter "lang macht" und den Ball nach vorn über die zu erreichende Linie hält - damit ist das First Down geschafft.
Diese Aktion kann man sich nun aber für den dritten Versuch aufsparen und hat damit den zweiten Versuch "frei", um einen Passspielzug durchzuführen. Eine Interception darf es dabei natürlich nicht geben, aber wenn der Ball nicht gefangen wird, verliert man ja keine Yards. Also ist dies eine gute Gelegenheit, mal ein paar Receiver Richtung Endzone zu schicken oder zumindest auf den Außenseiten weit nach vorn. Der Quarterback sucht sich dann von diesen einen aus, dem er den Ball so zuspielt, dass nur der eigene Mann ihn im Feld fangen könnte, das Leder ansonsten aber ins Aus geht.
Nicht nur First Downs können hier also schnell kommen, sondern auch Touchdowns. Kaum aber sind die Anhänger des quasi "durchmarschierenden" Teams in Euphorie geraten, wendet sich das Blatt wieder. Denn dicht vor der gegnerischen Endzone schrumpft der zu verteidigende Raum wieder auf Maße zusammen, die für elf Defender leichter beherrschbar sind. Den angreifenden Receivern fehlt zunehmend die Möglichkeit, ganz weit durchzustarten. Und hinten haben die Angreifer nun zwar anders als vor der eigenen Endzone genügend Platz. Aber sie werden hier üblicherweise dennoch fast ebenso risikoscheu wie dort. Denn nun soll dieser Angriff auf jeden Fall auch eigene Punkte bringen. Einmal so weit gekommen, kostet ein Ballverlust jetzt mindestens drei "sichere" Punkte, denn man ist ja schon dort, von wo der Kicker fast immer zum Field Goal trifft.
Die Auswahl der Spielzüge durch die Offense wird in der Nähe der gegnerischen Endzone wieder etwas konservativer. Die Erwartungshaltung an eine Offense, die die "Red Zone", den Bereich der letzten 20 Yards vor der gegnerischen Endzone, erreicht hat, ist dennoch hoch. Fans und Trainer wollen nun den Touchdown sehen. Unter Druck steht erst recht die Defense - hier muss praktisch jeder individuelle Fehler im Stellungsspiel oder bei den Zuordnungen vermieden werden. Und vor allem auch Fouls - denn wenn die Offense hier mit einem "Automatic First Down" noch einmal drei Gelegenheiten zusätzlich bekommt, den Touchdown anzupeilen, wird es konditionell und für die Konzentration genauso eng wie auf dem Feld. Es gibt natürlich heroische Momente der "Goal Line Defense", wenn tatsächlich der Verteidigungsriegel es schafft, die Angreifer dreimal in Folge sogar von der 1-Yard-Linie scheitern zu lassen. Die Erinnerung an solche Ausnahmen verklärt den Umstand, dass in der großen Mehrzahl der Fälle es ganz "normal" läuft, und die Offense den Ball halt irgendwann über die Goal Line bekommt.
Weiter: „Schattenboxen“ zu Beginn
Zurück: Gefahr in der eigenen Red Zone
Wie funktioniert American Football
Teil 1: Eigentlich ist alles einfach
Teil 2: Lauf- und Passspiel
Teil 3: Touchdowns, Field Goals und Safetys
Teil 4: Vier Downs für zehn Yards
Teil 5: Münzwurf mit Fallstricken
Teil 6: Mit dem Kickoff geht es los
Teil 7: Start der echten Action: der Kickoff Return
Teil 8: Fouls im American Football
Teil 9: 15 Yards Strafe für schwere Fouls
Teil 10: Das Holding
Teil 11: Die „technischen“ Fouls
Teil 12: Die korrekte Startformation im Angriff
Teil 13: „Free Plays“ der Offense nach Defense-Fouls
Teil 14: Linienspieler zuerst im Fokus
Teil 15: Die Offensive Linemen
Teil 16: Die Ends im Angriff
Teil 17: Die Backs der Offense
Teil 18: Grundaufstellungen der Verteidigung
Teil 19: Pass Rush
Teil 20: Mann- oder Zonendeckung gegen den Pass?
Teil 21: Einfluss der Feldposition auf die Taktik
Teil 22: Gefahr in der eigenen Red Zone
Teil 23: Alle Optionen im "Mittelfeld"
Teil 24: „Schattenboxen“ zu Beginn
Teil 25: Geduld und Strategie zählen
Teil 26: Der vierte Versuch
Teil 27: Mut zum Risiko?
Teil 28: Der Punt und andere Kicks
Teil 29: Die Macht über die Spielzeit
Teil 30: Comeback-Versuche
Teil 31: Hail Mary!
Teil 32: Die Auszeiten
Teil 33: Nur der Sieg zählt - notfalls nach Verlängerung
Teil 34: Die Mathematik der Football-Scores
Viel Platz für die Receiver, große Nöte für die Verteidiger... (© Getty Images)