Die zu verteidigende Fläche nimmt Einfluss auf die Strategie der Angreifer im American Football. Aber auch andersherum gilt für die Offense in Nähe der eigenen Endzone, dass deren Spieler im Backfield ein wenig Platz und Zeit benötigen, um hinter der Linie den Spielzug möglichst unbeengt zu "organisieren". Für Laufspielzüge über die Außenseiten nimmt der Running Back schon mal in einem etwas weiteren Bogen hinten Anlauf. Vor langen Pässen geht der Quarterback besser ein paar Schritte mehr zurück, um seinen Receivern und sich mehr Zeit zu gönnen. Ist man nahe der eigenen Endzone, führen diese Wege den Ballträger gefährlich nahe an oder gar in die Endzone.
Das Risiko, dort vom Gegner zum Safety erwischt zu werden oder ihm mit einem Fumble die Vorlage zum direkten Touchdown zu servieren, ist nicht zu unterschätzen. Ist man sehr dicht vor der Endzone, sind die Laufwege möglicherweise erst gar nicht vorhanden, denn ein Tritt auf die Endlinie wäre ebenfalls ein Safety für den Gegner. Hinzu kommt die besondere Strafe für das Holding, also das Festhalten eines Gegners, das mit der Stelle des Fouls als Bezugspunkt für die Raumstrafe geahndet wird. Begeht die Offense dieses Foul in der eigenen Endzone, ist auch dies ein Safety, der dem Gegner zwei Punkte und den folgenden Ballbesitz beschert.
Will man großen Raumgewinn anpeilen, sind es allerdings eben gerade Pässe oder Läufe über die Außenseiten, die eigentlich die Mittel der Wahl sind. Vor der eigenen Endzone kann man ausgerechnet diese wegen des Risikos kaum nutzen. Die Angreifer stecken also in einem Teufelskreis: Schon die ersten zehn Yards, um eine neue Serie von Versuchen zu erhalten, sind häufig unerreichbar, wenn das erste Anspiel zu dicht vor der eigenen Endzone stattfindet.
Da bleiben oft nur drei verhältnismäßig sichere Läufe in der Mitte oder kurze Pässe, in der Hoffnung, dass dabei einmal der Gegner den Fehler macht, den Angreifer aus dem eigentlich "leicht" zu kontrollierenden Zentrum ausbrechen zu lassen. Planen lässt sich dies nicht, das primäre Ziel einer Offense dicht vor der eigenen Endzone ist daher zunächst, auf keinen Fall den Ball zu verlieren, erst in zweiter Linie der ersehnte Raumgewinn.
Ein verlorener Fumble oder eine Interception hier brächte dem Gegner eine große Chance auf einen schnellen Touchdown. Wohl also dem Team, dessen Returner nach einem Kickoff den Ball entweder schon weit genug nach vorn gebracht hat oder wenigstens den Touchback zum Anspiel an der 20-Yard-Linie genommen hat.
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Wie funktioniert American Football
Teil 1: Eigentlich ist alles einfach
Teil 2: Lauf- und Passspiel
Teil 3: Touchdowns, Field Goals und Safetys
Teil 4: Vier Downs für zehn Yards
Teil 5: Münzwurf mit Fallstricken
Teil 6: Mit dem Kickoff geht es los
Teil 7: Start der echten Action: der Kickoff Return
Teil 8: Fouls im American Football
Teil 9: 15 Yards Strafe für schwere Fouls
Teil 10: Das Holding
Teil 11: Die „technischen“ Fouls
Teil 12: Die korrekte Startformation im Angriff
Teil 13: „Free Plays“ der Offense nach Defense-Fouls
Teil 14: Linienspieler zuerst im Fokus
Teil 15: Die Offensive Linemen
Teil 16: Die Ends im Angriff
Teil 17: Die Backs der Offense
Teil 18: Grundaufstellungen der Verteidigung
Teil 19: Pass Rush
Teil 20: Mann- oder Zonendeckung gegen den Pass?
Teil 21: Einfluss der Feldposition auf die Taktik
Teil 22: Gefahr in der eigenen Red Zone
Teil 23: Alle Optionen im "Mittelfeld"
Teil 24: „Schattenboxen“ zu Beginn
Teil 25: Geduld und Strategie zählen
Teil 26: Der vierte Versuch
Teil 27: Mut zum Risiko?
Teil 28: Der Punt und andere Kicks
Teil 29: Die Macht über die Spielzeit
Teil 30: Comeback-Versuche
Teil 31: Hail Mary!
Teil 32: Die Auszeiten
Teil 33: Nur der Sieg zählt - notfalls nach Verlängerung
Teil 34: Die Mathematik der Football-Scores
Dicht vor der eigenen Endzone wird es eng. (© Michael Pohl)