Die Offensive Linemen
Münzwurf, Kickoff und Return sind absolviert, und was und wie viel verboten ist, wissen wir auch. Zeit, dass es nun wirklich richtig zur Sache geht. Im modernen "Two Platoon Football" gibt es praktisch keine Spieler, die in beiden Einheiten Offense und Defense eingesetzt werden. Im Spitzenbereich wie in der NFL ist jeder einzelne Spieler mit seinen ganz speziellen Fähigkeiten für seine Hauptaufgabe viel zu wertvoll, um ihn noch anderswo einzusetzen und damit ja auch doppelt zu belasten. Und für die jeweils anderen Aufgaben stehen in der Regel besser spezialisierte Akteure bereit. Die in jüngerer Vergangenheit ab und mal vorgekommenen sporadischen Einsätze von Spielern "auf der anderen Seite des Balles" lassen sich meist als Marketing-Gag abtun.
Im Amateur-Football und je kleiner der Kader ist, kommt es aber natürlich vor, dass ein Spieler technisch und konditionell - auf der jeweiligen meist niedrigen Leistungsstufe - Mitspielern und Gegnern so sehr überlegen ist, dass es lohnt, ihn in Offense wie Defense und durchgehend einzusetzen. Bei den Profis geht der Trend eher genau andersherum, auch die Grenzen zwischen Stamm- und Ergänzungsspieler verwischen immer mehr. Wer als "Starter" in der Aufstellung genannt wird, bekommt eher eine "virtuelle" Auszeichnung als tatsächlich auf dem Feld den Vorzug vor anderen.
Dort regelt oft die jeweilige Spielsituation und der geplante Spielzug, wer eingesetzt und als Passempfänger, Ballträger oder dessen Gegenspieler vorgesehen ist. Mit fortschreitender Spieldauer kommt der Rotation unter möglichst vielen, annähernd gleichwertigen Spielern immer mehr Bedeutung zu. Als Ausnahme hierzu muss ein wenig die Offensive Line zählen, deren koordinierte Blockarbeit zwar auch kräftezehrend ist, am besten allerdings in konstant gleicher Besetzung zu leisten ist.
Blicken wir auf die Offense, gibt es in jeder Formation die klare Trennung in fünf innere Linienspieler und die übrigen sechs. Aus den Regeln wissen wir, dass sieben Spieler die vorgeschriebene Linie an vorderster Front bilden müssen und die fünf inneren und stämmigen Linienspieler nur blocken dürfen, um den Ballträger und vor allem den Quarterback hinter ihnen zu schützen. Der Center muss zunächst allerdings erst einmal gebückt den Ball durch seine Beine nach hinten spielen, sich quasi noch in der gleichen Bewegung aufrichten, um seinen sofort attackierenden Gegenüber abzuwehren oder gar selbst anzugehen. Zu beiden Seiten leistet ihm je ein "Guard" Unterstützung und wiederum neben dem an jeder Seite je ein "Tackle".
Diese Fünfer-Crew hat keine Berechtigung, den Ball bei einem Pass zu fangen, ist eine häufig sehr fest eingeschworene Gemeinschaft und absolviert Spielzug für Spielzug die grundlegende Blockarbeit, ohne die kein Lauf oder Pass funktionieren würde. Nur wer eines der Enden der regeltechnischen 7er-Linie bildet oder dahinter steht, bekommt im normalen Spielablauf etwas mit dem Ball zu tun. Deswegen hat es meist keinen Sinn, für einen Lauf oder einen Pass mehr als sieben Spieler an diese Linie zu stellen, denn jeder zusätzliche Mann dort ist einer weniger, der als Ballträger in Frage kommt. Anders sieht es bei Punts und Field Goals aus, da braucht man jeden verfügbaren Mann zum Blocken. Oder bei absoluten Sondersituationen, wenn man Quarterback oder einen einzelnen Running Back "mit Ansage" und für den Gegner sowieso erkennbar in der Mitte über ein paar Inches zum First Down oder Touchdown schicken will.
Außer dem Center mit seiner Doppelaufgabe von Snaps und Blocks ist in der Regel der Tackle auf der linken Seite ein hervorstechender Spieler dieser ansonsten häufig nicht so sehr im Rampenlicht stehenden Gruppe. Jedenfalls, wenn sein Quarterback Rechtshänder ist (sonst ist es der Tackle auf der anderen Seite).
Jeder Tackle muss an der Außenseite das Durchbrechen von Verteidigern mit Kurs auf den Quarterback verhindern. Kommt ein Spieler um ihn herum und nimmt Speed auf, rast er bei einem geplanten Pass geradewegs auf den Quarterback zu. Dieser visiert hauptsächlich Ziele für seine Pässe an, tendenziell blickt er dazu eher leicht in die Richtung seiner Wurfhand. Alles was von der anderen Seite kommt, sieht er aus den Augenwinkeln erst einen Tick später. Setzt von dort ein Gegner zum "Blind Side Tackle" an, sind die Risiken für Schmerz, Verletzung oder auch Ballverlust potenziert.
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Wie funktioniert American Football
Teil 1: Eigentlich ist alles einfach
Teil 2: Lauf- und Passspiel
Teil 3: Touchdowns, Field Goals und Safetys
Teil 4: Vier Downs für zehn Yards
Teil 5: Münzwurf mit Fallstricken
Teil 6: Mit dem Kickoff geht es los
Teil 7: Start der echten Action: der Kickoff Return
Teil 8: Fouls im American Football
Teil 9: 15 Yards Strafe für schwere Fouls
Teil 10: Das Holding
Teil 11: Die „technischen“ Fouls
Teil 12: Die korrekte Startformation im Angriff
Teil 13: „Free Plays“ der Offense nach Defense-Fouls
Teil 14: Linienspieler zuerst im Fokus
Teil 15: Die Offensive Linemen
Teil 16: Die Ends im Angriff
Teil 17: Die Backs der Offense
Teil 18: Grundaufstellungen der Verteidigung
Teil 19: Pass Rush
Teil 20: Mann- oder Zonendeckung gegen den Pass?
Teil 21: Einfluss der Feldposition auf die Taktik
Teil 22: Gefahr in der eigenen Red Zone
Teil 23: Alle Optionen im "Mittelfeld"
Teil 24: „Schattenboxen“ zu Beginn
Teil 25: Geduld und Strategie zählen
Teil 26: Der vierte Versuch
Teil 27: Mut zum Risiko?
Teil 28: Der Punt und andere Kicks
Teil 29: Die Macht über die Spielzeit
Teil 30: Comeback-Versuche
Teil 31: Hail Mary!
Teil 32: Die Auszeiten
Teil 33: Nur der Sieg zählt - notfalls nach Verlängerung
Teil 34: Die Mathematik der Football-Scores
Die Offensive Line der Allgäu Comets (© Miladinovic)