Linienspieler zuerst im Fokus

Kommen sie vorwärts oder bleiben sie hinter der Linie?Zur Unterscheidung zwischen Pass- und Laufspiel haben wir für Football-Neulinge eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute sparen wir uns für später auf, die schlechte ist: Wenn es um das Passspiel geht, sind die Football-Regeln tatsächlich ein wenig komplex. Nicht einmal der spätere Passempfänger selbst darf vor dem Fang Gegenspieler blocken. Zu Beginn steht er zwar an oder knapp hinter der Linie, wenn auch meist mit Abstand zum Zentrum weit außen. "Offiziell" unterstützt er nach den Regeln da noch seinen Quarterback als momentanen Ballträger hinter ihm. Würde ein Gegner also auf ihn zu auf seine Seite der Anspiellinie kommen, könnte er sich mit Blocks gegen diesen wehren.

Jenseits der Anspiellinie (also auf der Seite der Verteidigung) aber sind bei Passspielzügen keinerlei Blocks erlaubt, bevor nicht der Fänger zum Ballträger geworden ist. Diese Regel gilt sogar "rückwirkend": Selbst wenn ein Lauf geplant war, aber doch ein Vorwärtspass geworfen wird, werden nachträglich alle Blocks jenseits der Anspiellinie zu Fouls. Der Angreifer weiß immerhin vorher, ob ein Pass geplant ist, der Verteidiger allerdings nicht. Sobald ein potenzieller Fänger seine Vorwärtsbewegung über die Linie hinaus aufnimmt, darf er selbst keinen Gegner blocken und wird selbst auch nicht geblockt werden, wenn der Gegenspieler kein Foul riskieren will.

Selbstverständlich berücksichtigen die Regeln, dass sich niemand in Luft auflösen kann. Jeder Spieler hat Anrecht darauf, seine gewünschte Position einzunehmen und auch da einfach stehen zu bleiben. Es ist also ein Foul, einen Gegner umzurennen, wenn der im Weg steht. Taktisch haben Receiver und Verteidiger ohnehin andere Sorgen: Der Angreifer muss irgendwie (ohne Kontakt, der ihm später als Block ausgelegt werden könnte!) an dem Gegner vorbei, um auf seine gewünschte Position für den Fang zu kommen. Der Verteidiger muss normalerweise zunächst rückwärts laufen, um Ball und Gegenspieler nicht aus den Augen zu verlieren. Beide haben also einen kleinen Nachteil, der ihre Geschwindigkeit bei dem sich entwickelnden Laufduell drosselt.

Doch ist dies nichts gegen die Konsequenz, die ein absichtlicher Rempler gegen den anderen hätte, der diesem die Chance nimmt, den Ball zu fangen. Macht der Angreifer dies, ist es eine "Offensive Pass Interference", die den nächsten Anspielpunkt um 15 Yards zurückverlegt und anders als die meisten anderen Strafen auch noch den gespielten Versuch kostet, also auf die maximal vier Versuche für ein neues First Down angerechnet wird. Ist der Verteidiger der "Defensive Pass Interference" schuldig, gilt der Pass einfach als an der Stelle des Fouls gefangen (im Amateurbereich allerdings nur für maximal 15 Yards) und die Angreifer erhalten automatisch vier neue Versuche ("Automatic First Down"). Vor einem Passfang spielen also Passempfänger und Gegenspieler im Football praktisch nach Basketball-Regeln "kontaktlos". Erst die erste Ballberührung nach einem Pass beendet diese Phase.

Nun die versprochene gute Nachricht: Die fünf inneren Linienspieler des Angriffsteams haben ausschließlich Blockaufgaben. Sie dürfen laut Regeln auch niemals einen Pass fangen. Bei einem Spielzug mit einem Vorwärtspass haben sie also auf der anderen Seite der Anspiellinie nichts zu tun und demzufolge dort auch nichts zu suchen. Sowohl Blocken von Gegenspielern als auch das Fangen des Balles wären dort Fouls. Bei einem Passspielzug lassen sie sich also zurückfallen, um einen Schutzwall für den Quarterback zu bilden. Bei einem Laufspielzug dagegen blocken sie vorwärts, um schon mal ein, zwei Yards Raum für den hinter ihnen losstürmenden Running Back zu schaffen. Für Neu-Zuschauer ist es also ein guter Tipp, zu Beginn auf die schwergewichtigen Spieler im Zentrum des Angriffsteams zu schauen: Ist nur einer von denen auf dem Weg nach vorn, wird es ein Laufspielzug sein!

Lassen sich alle zurückfallen, folgt wahrscheinlich ein Pass. "Wahrscheinlich" deswegen, weil natürlich auch Verteidiger als erstes auf dieses Indiz achten. Und Football-Coaches wären nicht Football-Coaches, wenn sie dies nicht ausnutzen würden, um dem Gegner ab und an eine Falle zu stellen - in Zeiten der "Option Offense" eher häufiger als sporadisch. Ob der Quarterback da bei einem Spielzug passt, selbst läuft oder doch noch einen Mitspieler per pedes auf die Reise schickt, entscheidet er erst während des Spielzuges anhand der Reaktion der Verteidiger. Folglich müssen dabei die Linienspieler zunächst diszipliniert auf ihrer Seite der Linie bleiben. Wenn schließlich gelaufen wird, können sie immer noch vorrücken.

Vielleicht "ziehen" und locken sie in einem "Draw Play" auch die vorderen Verteidiger zu schnell nach vorn, sodass eine im rechten Moment geöffnete kleine Lücke dem durchschlüpfenden Ballträger dahinter viel freie Bahn verschafft, ehe die zweite Reihe der Verteidigung (die "Linebacker") wieder von Pass- auf Laufverteidigung umgestellt hat und zur Stelle sein kann. Schließlich gibt es noch eine Feinheit im Regelwerk, die hier ausgenutzt werden kann: Ein Vorwärtspass ist im Kontext zu den Bestimmungen zum Blocking erst dann ein "richtiger" Vorwärtspass, wenn der Ball über die Anspiellinie geworfen wird. Fängt ein Spieler den Ball noch davor und hinter dem "Schutzschild" seiner Linienspieler, haben wir mit einem "Screen Pass" einen Ballträger hinter einer ganzen Latte an Vorblockern gegen eine möglicherweise bereits zu den Außenseiten hin "ausgefranste" Verteidigung in Stellung gebracht. Dieser menschliche "Screen" darf dann auch munter vorwärts stapfen, weil die Beschränkung, nicht vorwärts zu blocken, nicht greift, wenn der Fang hinter der ursprünglichen Anspielposition war.

Mit der "Pass Interference" ist einer der Regelverstöße mit einem hohen Strafmaß bereits angesprochen worden. Behindert ein Verteidiger den Passempfänger, bekommt der praktisch den Fang in der Regel an der Stelle (abgesehen von Minimal- oder Maximalgrenzen) gutgeschrieben, was eine logische Bestrafung ist. Logisch ist übrigens auch, dass bei Football-Strafen nicht der Ballbesitz an die gefoulte Mannschaft übergeht wie beim "Stürmer-Foul" in allen anderen Sportarten. Da Ballbesitz und Angriffsrecht viel elementarer sind als sonst im Mannschaftssport, ist kein Foul schwer genug, um es direkt mit Ballverlust zu bestrafen. Stattdessen wird die Feldposition durch Raumverlust für das foulende Team verschlechtert. Für die Angreifer macht es auch dies schwer genug, die für das nächste First Down fehlenden Yards zu schaffen.

Weiter: Die Offensive Linemen

Zurück: „Free Plays“ der Offense nach Defense-Fouls

Ist Football kompliziert?

Teil 1: Eigentlich ist alles einfach

Teil 2: Lauf- und Passspiel

Teil 3: Touchdowns, Field Goals und Safetys

Teil 4: Vier Downs für zehn Yards

Teil 5: Münzwurf mit Fallstricken

Teil 6: Mit dem Kickoff geht es los

Teil 7: Start der echten Action: der Kickoff Return

Teil 8: Fouls im American Football

Teil 9: 15 Yards Strafe für schwere Fouls

Teil 10: Das Holding

Teil 11: Die „technischen“ Fouls

Teil 12: Die korrekte Startformation im Angriff

Teil 13: „Free Plays“ der Offense nach Defense-Fouls

Teil 14: Linienspieler zuerst im Fokus

Teil 15: Die Offensive Linemen

Teil 16: Die Ends im Angriff

Teil 17: Die Backs der Offense

Teil 18: Grundaufstellungen der Verteidigung

Teil 19: Pass Rush

Teil 20: Mann- oder Zonendeckung gegen den Pass?

Teil 21: Einfluss der Feldposition auf die Taktik

Teil 22: Gefahr in der eigenen Red Zone

Teil 23: Alle Optionen im "Mittelfeld"

Teil 24: „Schattenboxen“ zu Beginn

Teil 25: Geduld und Strategie zählen

Teil 26: Der vierte Versuch

Teil 27: Mut zum Risiko?

Teil 28: Der Punt und andere Kicks

Teil 29: Die Macht über die Spielzeit

Teil 30: Comeback-Versuche

Teil 31: Hail Mary!

Teil 32: Die Auszeiten

Teil 33: Nur der Sieg zählt - notfalls nach Verlängerung

Teil 34: Die Mathematik der Football-Scores

Kommen sie vorwärts oder bleiben sie hinter der Linie?

Kommen sie vorwärts oder bleiben sie hinter der Linie? (© Dirk Pohl)

RegistrierenKennwort vergessen?

Login:

Kennwort:

dauerhaft: