Calcio und Cuju

Griechen und Römer spielten ihr Harpaston/Harpastum ebenso wie die Fiorentiner ihr Calcio nach ähnlichen Regeln. Die Spielidee war im Grunde die des heutigen American Footballs. Zwei Mannschaften traten auf einem rechteckigen Spielfeld gegeneinander an. An beiden Enden des Feldes befand sich in 75 Schritten Entfernung jeweils eine Endlinie. Das Ziel des Wettbewerbs war es, den Ball hinter die Linie zu bringen. Jede Mannschaft bestand aus fünf bis zwölf Spielern. Es gab wenige, aber eindeutige Regeln. Der Ball konnte geworfen und in der Luft gefangen werden. Er durfte aber auch in der Hand getragen oder gekickt werden. Schon Clemens von Alexandria schrieb von diesem Ballspiel, und Julius Pollux und Athenaios (etwa im 2. bis 3. Jahrhundert v. Chr.) hatten die körperbetonten Kämpfe in ihren Schriften ebenfalls festgehalten.

Zweikämpfe waren offensichtlich elementarer Bestandteil des Spiels. Bei den Römern war es vor allem beim Militär beliebt, der Gladiatorenarzt Galenos aus Pergamon bemerkte um 150 n. Chr., dass das Spiel vielfältig und anspruchsvoll, aber vor allem günstig sei und sich positiv auf den ganzen Körper auswirken würde. Es sei vor allem für Gladiatoren als Training geeignet, da weniger verletzungsanfällig als direktes Kampftraining.

Später in der Renaissance war Florenz reiches Zentrum des Handels und der bildenden Künste. Auf sportlichem Sektor zeichnete sich vor allem Piero Medici aus, der als Experte des "Calcio" galt. Er tat sich als Spieler, Trainer und Organisator großer Turniere auf dem Marktplatz so stark hervor, dass er zeitweise sogar die Staatsgeschäfte vernachlässigt haben soll. Gespielt wurde manchmal auf dem zugefrorenen Fluss Arno, hauptsächlich aber auf Sand. Das Spielfeld war ein etwa 60 mal 30 Meter großer umzäunter Sandplatz, an dessen zwei Grundlinien Tore standen. Wie auch in der Antike war das Kicken des Balles genauso erlaubt wie das Werfen und Tragen des Spielgeräts. Ansonsten war das rohe Spiel von Regeln befreit. Verboten waren nur Tritte gegen den Kopf und Angriffe in den Rücken.

Das Ganze gibt es in Florenz noch heute in einem Vierer-Turnier jährlich, wobei anders als bei allen aus solchen antiken und mittelalterlichen Aktivitäten entstandenen heutigen Sportarten die Regeln da nicht aus Gründen der Verletzungsprävention angepasst wurden - eher im Gegenteil. Öfter hört oder liest man ja das Bonmot, dass Rugby-Spieler "härter" als Footballer seien (weil missverstanden wird, warum im American Football eine Schutz-Ausrüstung nötig ist, im Rugby aber nicht). Und die richtigen Machos werfen dann noch dazu ein, dass eigentlich ja die spezielle Variante Australian Rules Football vom fünften Kontinent jene für die wahren "harten Männer" sei. Alles aber ist nichts gegen das, was Rettungssanitäter in Florenz jährlich im Juni an Schwerstarbeit zu leisten haben - das Spiel wird nur dann unterbrochen, wenn es wirklich ohne sie nicht mehr weitergehen kann.

Calcio hatte schon damals wenig mit dem heutigen Fußball zu tun (auch wenn es in Florenz damals ähnlich heiß geliebt wurde wie dieser heute und sogar während der Belagerung der Stadt durch Karl V. im Februar 1530 auf dem Marktplatz gespielt worden sein soll, als hätte es keine anderen Sorgen gegeben). Die Spielidee hatte aber klare Ähnlichkeit mit Football, Rugby oder eben jenem "Urspiel", das sich später zu diesen heutigen Sportarten entwickelte. Harpastum, das wohl in Griechenland seinen eigentlichen Ursprung hatte, hatte allerdings auch ein fernöstliches Pendant: Cuju. Über diese chinesische Variante wurde bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. geschrieben. Aufgrund dieses ältesten bekannten historischen Beleges wird Cuju von der FIFA als Ursprung des Fußballs bezeichnet.

Beim Cuju standen sich Teams von zwölf bis 16 Spielern gegenüber, Ziel war es, den Ball in eines der sechs Tore auf der Endline zu kicken, wobei diese Tore etwa die Größe von Basketball-Körben hatten (aber zunächst nicht so in der Höhe hingen). Einige Jahrhunderte später gab es fußballähnlichere Tore an den Endlinien und eine Art Basketball-Korb in der Feldmitte, die zu treffen waren. Gespielt wurde Cuju zunächst von Soldaten, später von Jugendlichen der Oberschicht. Irgendwann verschwand die ursprüngliche Spielidee, die Tore zu treffen, und wurde durch Geschicklichkeitsübungen ersetzt: den Ball in der Luft zu halten, den Ball nicht ins Aus gehen zu lassen oder Mitspieler präzise anzuspielen. Etwa zur Zeit, als Calcio in Florenz belegt ist, verschwand Cuju in China.

Gesichert ist, dass beim Cuju zu Beginn ein mit Federn gestopfter Ball benutzt wurde, der später durch einen luftgefüllten ersetzt wurde. Auch beim Harpaston/Calcio dürfte es die Entwicklung gegeben haben, wobei ganz zu Beginn da wohl noch Hartbälle ähnlich wie ein Base- oder Softball in Gebrauch waren. Der "luftgefüllte Ball" war um 1500 sicherlich nicht präzise rund, er war schließlich aus absolut biologisch-natürlicher Tierhaltung. In der Edelversion mag es tatsächlich ein "Pigskin" aus Schweineleder gewesen sein - dem "Pöbel" musste in der Regel die Blase des geschlachteten Schweins genügen.

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Historie von American Football

Teil 1: Die Elf steht

Teil 2: Antike Gladiatoren

Teil 3: Calcio und Cuju

Teil 4: Die britisch-barbarische Variante

Teil 5: Studentische Kicks

Teil 6: Abgrenzung zum Rugby

Teil 7: Das Boston Game

Teil 8: Geburtsstunde des American Football

Teil 9: Erste Regelwerke für US-Universitäts-Teams

Teil 10: Walter Camp denkt nach

Teil 11: Die Unterschiede zu Rugby und Fußball

Teil 12: Wie viele Punkte für was?

Teil 13: Gewaltexzesse und Beinahe-Verbot

Teil 14: Siegeszug in den USA

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