Gewaltexzesse und Beinahe-Verbot

Referees halten heutzutage (fast) alles unter Kontrolle, das war nicht immer so.Die Änderungen am Punktsystem im American Football um die Wende zum 20. Jahrhundert mochten wohl überlegt gewesen sein, am eigentlichen Problem des sich neu entwickelnden Football-Sports gingen sie aber vorbei. Dass die vereinzelten Vorwärtspässe achselzuckend hingenommen wurden, tat niemandem weh. Die stillschweigende Freigabe des Blockens in allen Varianten bis hin zu Exzessen ließ sich aber nicht mit den zum Großteil noch aus dem Rugby ererbten Bestimmungen regeln, denn dort gab es ja von vornherein keine Blocks. Auf manchen Football-Plätzen schien in diesen Punkten Anarchie zu herrschen.

Als eine brachiale - und im Sinne der zu erzielenden Punkte - "erfolgreiche" Methode im Angriff hatte sich ja schon im "Ur-Spiel" der "Flying Wedge", der fliegende Keil gezeigt. Der wurde nun brutalstmöglichst perfektioniert. Der Ballträger stürmte voran, seine Mitspieler formten an seiner Seite ein "V" und pflügten so ohne Rücksicht auf Verluste über das Feld. In einer Fortentwicklung dieser Formation hakten die blockenden Spieler sich schließlich auch noch unter, so dass Teamkameraden sich gegenseitig davon abhielten, dem natürlichen Fluchtreflex nachzugeben, wenn sie frontal mit Gegenspielern zusammenstießen.

1894 eskalierte ein Spiel zwischen Harvard und Yale mit vier Verletzten, die lebenslang behindert blieben. Im gleichen Jahr endete ein Match zwischen Army und Navy als vergleichbares Blutbad. Die Universitätsleitungen zogen die Reißleine und verbaten für einige Jahre die Spiele zwischen den erbitterten Rivalen.

Besser wurde es aber nicht. 1905 wurden 19 Todesfälle im College Football gezählt. US-Präsident Theodore Roosevelt bestellte die Verantwortlichen der Football-Teams von Harvard, Yale und Princeton ein. Nicht eindeutig belegt ist, ob er mit einem staatlichen Verbot gedroht hat und ob ein solches überhaupt in seiner verfassungsgemäßen Macht gestanden hätte. In jedem Fall schärfte sein Eingreifen das Bewusstsein der Verantwortlichen dafür, dass man sich dem Problem stellen musste und dass es nicht sinnvoll war, Todesfälle und schwerste Verletzungen einfach so hinzunehmen.

Ende 1905 gab es als Reaktion darauf zwei konkurrierende Entwicklungen. Die führenden Universitäten der Westküste California und Stanford hatten eine überraschend einfache Antwort auf die Misere, die in Kalifornien von den meisten Universitäten befürwortet wurde: American Football wurde abgeschafft. Die Regeln der englischen Rugby Union wurden übernommen und die existierenden Football-Teams zu Rugby-Teams umfunktioniert. Damit war das gefährliche Blocken aus dem Spiel verschwunden, ein bewährtes Regelwerk war vorhanden, und eine höhere Sicherheit für die Spieler war ohne großen Aufwand gewährleistet.

An der Ostküste allerdings trafen sich Vertreter von 62 Mannschaften, um das Regelwerk von Football zu überarbeiten und sich eine feste nationale Organisationsform zu geben - die Vorläufer-Organisation der heutigen NCAA als College-Sportverband wurde gegründet. In den neuen Regeln wurden die Massenblock-Aktionen wie Keilformationen, das Unterhaken der Arme und ähnliche gefährliche Manöver nach und nach verboten.

Statt die zuvor schleichend verlaufene Abgrenzung zum Rugby wieder zurückzunehmen, wurde sie nun mit genauen Regeln zum Blocken festgeschrieben. Nicht nur beim Blocken: Auch Vorwärtspässe wurden nun ausdrücklich erlaubt, was zunächst nur als eine Randnotiz begriffen wurde. Bei der "Entrümpelung" der Regeln sollten einfach all die aufgelaufenen Zweifelsfälle der Jahre und Jahrzehnte davor eindeutig geklärt werden. Also hakte man auch das Thema der Vorwärtspässe ab, ohne ihm die große Bedeutung zuzumessen, die es später bekam.

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Historie von American Football

Teil 1: Die Elf steht

Teil 2: Antike Gladiatoren

Teil 3: Calcio und Cuju

Teil 4: Die britisch-barbarische Variante

Teil 5: Studentische Kicks

Teil 6: Abgrenzung zum Rugby

Teil 7: Das Boston Game

Teil 8: Geburtsstunde des American Football

Teil 9: Erste Regelwerke für US-Universitäts-Teams

Teil 10: Walter Camp denkt nach

Teil 11: Die Unterschiede zu Rugby und Fußball

Teil 12: Wie viele Punkte für was?

Teil 13: Gewaltexzesse und Beinahe-Verbot

Teil 14: Siegeszug in den USA

Referees halten heutzutage (fast) alles unter Kontrolle, das war nicht immer so.

Referees halten heutzutage (fast) alles unter Kontrolle, das war nicht immer so. (© Schüler)

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