Das Abschneiden der beiden deutschen Flag Football Nationalmannschaften bei der WM in Lahti beurteilt der Direktor der Flag Nationalmannschaften, Torsten Grom sehr differenziert: "Individuelle Fehler haben dazu geführt, dass sich unsere Herrennationalmannschaft in ein Tief gespielt hat. Aus diesem Tief sind wir nicht mehr herausgekommen. Was wir eigentlich können, hat dann später nicht mehr geklappt und wir konnten unser Können nicht mehr zeigen. Unsere Frauen haben sich in diesem Jahr sehr gut entwickelt und wir alle hatten es uns gewünscht, dass sie das Achtelfinale gegen Italien gewonnen hätten."
Torsten Grom verweist ferner darauf, wenn er die deutschen Nationalmannschaften mit anderen Nationen vergleicht, dass die Sportförderung in Skandinavien oder Österreich zum Beispiel eine ganz andere ist, als in Deutschland: "Wir müssen unser vorhandenes Wachstum strukturieren und organisieren. Es geht nicht um die Fragee, ob zu wenig trainiert wird, sondern darum Alterslücken zu schließen. Wir müssen mehr Geld in nachhaltige Strukturen stecken. In ganz Deutschland gibt es nur einen Kunstrasenplatz, der für Flag Football zur Verfügung steht und der steht in Kelkheim. Österreich hat zum Beispiel einen Vorsprung von über einem Jahrzehnt. Sie haben sich ihre Strukturen geschaffen, die es Ihnen erlaubt, sich stetig zu verjüngen. Natürlich ist es ein Vorteil, wenn die meisten Flag Teams in Österreich in und um Wien zu Hause sind und es Leistungszentren gibt. Die Verjüngung ihrer Kader haben sie konsequent letztes Jahr nach der EM getan. Wir haben damit mehr Schwierigkeiten."
Große Hoffnungen setzt Grom somit auf regionale Flag Ligen für Kinder und Jugendliche. In einigen Bundesländern entwickeln sich U10 Flag Ligen. Wir wünschen uns, dass es mehr solcher Initiativen in allen Bundesländern gibt, damit wir in zehn Jahren aus dieser entwickelten Breite auch für die Spitze schöpfen können. Wir müssen auch den Dialog stärker mit dem Tackle Football führen, um auch dort zu schöpfen und wir müssen zu anderen Sportarten schauen. Vom Bewegungsablauf ist Handball ähnlich strukturiert, wie Flag Football. Unsere Saskia hat früher Handball gespielt und hat dieses Jahr erstmals Flag Football gespielt. Prompt hat sie den Sprung in die Nationalmannschaft geschafft. Solche Beispiele zeigen, dass wir noch viel mehr schöpfen müssen. Schließlich wollen wir keine Eintagsfliege sein, sondern auf Dauer uns und unseren Sport etablieren."
Ein großes Dankeschön möchte Torsten Grom aber auch abschließend an die Helferinnen und Helfer verteilen, die die Flag Nationalmannschaften organisiert haben. "Alleine die vielen wöchentlichen Online Meetings, die wir veranstaltet haben, haben viel Zeit und Energie gekostet. Der Arbeitseinsatz aller Ehrenamtlichen war über Monate lang enorm und ohne sie alle hätten wir nicht nach Finnland fahren können."
Wie richtig Torsten Grom mit seinem Statement liegt, zeigen auch Beurteilungen über die Lage durch den DOSB. Der Blick auf das große Ganze zeigt, dass deutsche Sportlerinnen und Sportler im zurückliegenden Jahr 15 Weltmeistertitel geholt haben und 45 aktuelle Europameisterinnen und Europameister stellen. "Wir haben topmotivierte und talentierte Athletinnen und Athleten, fachkundige Trainerinnen und Trainer und eine immer noch beeindruckende Sportinfrastruktur. Oder besser, wir hatten eine. Denn hier beginnen die Probleme: Wer hinschaut, sieht, dass über Jahrzehnte nicht mehr – oder nicht mehr ausreichend – in Sportstätten investiert wurde, so dass mittlerweile das Prädikat marode vielerorts zutrifft, der Sanierungsstau beträgt stolze 31 Milliarden. Unsere fachkundige Trainerschaft arbeitet seit Jahren für den immer gleichen Lohn, häufig war nicht einmal ein Inflationsausgleich drin. Überraschend, dass immer noch die meisten bei ihren Athletinnen und Athleten, ihren Vereinen, ihren Stützpunkten bleiben. Aber immer mehr Fachleute folgen lukrativen Angeboten aus dem Ausland oder wandern in den Schuldienst ab – der nächste Fachkräftemangel droht. Und die Top-Sportlerinnen und Sportler selbst – sie werden weniger. Wenn ein ganzes Land langsam in Richtung Bewegungslosigkeit driftet, werden auch weniger Top-Talente entdeckt.
70.000 Kinder wurden in Berlin im Rahmen einer breit angelegten Studie auf Beweglichkeit und Gesundheit untersucht. Ergebnis: Nur jedes fünfte Kind ist überhaupt in der Lage, regelmäßig zu trainieren und dabei schnell, beweglich oder ausdauernd zu sein. Da kommt etwas auf uns zu, langsam, aber sicher. Lawinen in Zeitlupen haben jedoch den großen Vorteil, dass wir nicht nur sehen, was da auf uns zukommt. Sondern, dass wir auch rechtzeitig reagieren können. Dazu müsste sich unser Blick auf den Sport weiten. Ob Fußballerinnen oder Bogenschützen, ihre Erfolge oder Misserfolge lösen größere Emotionen aus als das tägliche Engagement der rund 87.000 Sportvereine an der Basis, und sie werden auch medial ganz anders bewertet und verwertet. Und doch sind sie letztlich nur die Spitze der gesamten Pyramide von Sport, Bewegung und einem gesunden und aktiven Lebensstil. Die über 27 Millionen Mitgliedschaften und Menschen, die vor Ort in ihren Vereinen miteinander Sport treiben, bilden das Fundament. Ob Kreisliga oder Leistungskader, ob Betül oder Barbara, Bernhard oder Berkan, Kevin oder Hannelore: sie alle bilden die Sportnation Deutschland.
Wer auf das Turnier-Aus mit nichts außer Lamento reagiert, erfasst das Gesamtbild nicht und übersieht, dass an vielen Stellschrauben gedreht und daran gearbeitet wird, den vorhandenen Problemen mit Konzepten zu begegnen. Dazu zählt, dass Bundesregierung, Bundesländer und Sport erstmals gemeinsam daran gehen, den Sport im Land bei allen Entscheidungen mitzudenken. Sie arbeiten an einem Sportentwicklungsplan, damit es eben nicht in Richtung "Sport-Entwicklungsland" geht. Die Experten der DOSB-Fachressorts haben ihn zusammen mit dem BMI und neun weiteren Bundesministerien im Nachgang des Bewegungsgipfels 2023 initiiert und arbeiten an den Details eines profunden Konzepts für die Zukunft der Sportnation Deutschland. Mit ihm, wenn auch die Politik dafür einsteht, leisten wir nichts weniger als den Paradigmenwechsel in der bundesweiten Sportpolitik. Auch deshalb sollten alle Beteiligten ein Interesse daran haben, dass der Sport im kommenden Bundeshaushalt nicht mit Kürzungen, sondern mit Investitionen bedacht wird.
Bund, Länder und Kommunen sowie der organisierte Sport müssen in unserem Land an den Rahmenbedingungen für Bewegung und Aktivität für Alle feilen. Umsetzen müssen wir es dann aber selbst. Wieviel Vorbild sind wir, wieviel bewegte, aktive Zeit verbringen wir mit unseren Kindern? Kinder bewegen sich vor allem auch dann, wenn sie es von Klein auf mit ihren Eltern so gewohnt sind. Und sie bewegen sich – das ist die nächste Ebene der Verantwortung – wenn die Angebote in unseren Bildungssystemen funktionieren: Bewegungs-Kindergärten sind großartig, es gibt aber immer noch zu wenige. Im Schulalter schauen wir zu, wie die Bildschirmzeit bei Jugendlichen wächst und wächst. Im Ganztag müssen Schulen so mit Sportvereinen vernetzt werden, dass das Training weiterhin stattfinden und bestenfalls sogar ausgeweitet werden kann. Und was spricht eigentlich gegen ein tägliches Bewegungsangebot in der Schule? Frankreich hat seine Olympiaeuphorie gerade genutzt, um die Anzahl der Schulsportstunden zu erhöhen, zahlreiche angelsächsische Länder haben sie täglich.
Mit den Bundesjugendspielen bieten Schulen zusätzliche Bewegung an. Aktuell folgen diese einem internationalen Trend, den u.a. Nationen wie Norwegen geprägt haben, die gemessen an ihrer Einwohnerzahl im Spitzensport erfolgreicher sind als unser Land. Kinder im Grundschulalter machen Sport möglichst spielerisch im ausgewogenen Verhältnis mit Wettkampfformen und möglichst vielseitig. Das sorgt zum einen dafür, dass sie bessere Grundlagen für eine Spezialisierung im goldenen Lernalter zwischen zehn und zwölf Jahren haben. Vor allem aber dafür, dass sie dann überhaupt noch beim Sport geblieben sind. In der aktuellen Diskussion um die Bundesjugendspiele wird mehr Sachlichkeit und Tiefe der Argumente benötigt. Das hat, ebenso wie die aktuelle Jugendfußballreform beim DFB, wenig mit Kuschelpädagogik und viel mit langfristigem Leistungsaufbau zu tun.
Lösung statt Bürokratisieren. Zum Beispiel mit der neuen Leistungssportagentur von BMI und DOSB. Die dafür sorgen soll, dass Ressource nicht in bürokratischen Fallstricken versackt, sondern da ankommt, wo es Not tun: Bei den Athlet*innen und Trainer*innen. Lösung statt Problemtrance. Zum Beispiel in unserem Dialogforum Sportentwicklung Anfang September, zu dem wir hochkarätige Expert*innen eingeladen haben, um gemeinsam weiterzudenken. Über den Sport und Werte und ehrenamtliches Engagement und Nachhaltigkeit und Infrastruktur und ja, das alles gehört unmittelbar zusammen und zahlt aufeinander ein. Was aufeinander einzahlt, kostet Geld. Andersherum formuliert: Was wir versäumen, kommt uns teuer zu stehen.
Möglicherweise ist das zweite Vorrundenaus einer deutschen Fußballmannschaft eine Lawine in Zeitlupe. Zwei frühzeitige Heimreisen sind aber nichts, was unsere Handlungsspielräume eklatant einschränkt, und uns den Kopf in den Sand stecken lassen sollte. Die Politik hat es in der Hand, dass wir die Lösungen unserer DOSB-Experten auf die Straße bringen. Unsere innovativen Förderkonzepte, unsere Solutions für eine zielführende Talent-Sichtung und alle unsere Projekte für eine stärkere gesellschaftliche Verankerung des Sports. Die Politik hat es in der Hand, dass aus unserem wertvollen Rat ein konkreter Wert entsteht: für die Sportstätten, die Vereinsheime, die Kinder in den Kitas, die Schüler*innen in den Schulen, für alle Menschen, für die der Sport eine Bedeutung hat. In einem Wort: Die Sportnation Deutschland, unsere diverse demokratische Gesellschaft. Und deshalb kämpfen wir dafür, dass der Sport im kommenden Bundeshaushalt nicht mit Kürzungen, sondern mit Investitionen bedacht wird. Sport kann alle(s) bewegen. Das ist der Kern des DOSB, unsere tägliche Arbeit. Die gesamtgesellschaftliche Hebelwirkung des Sports kann keine einzige Sekunde zu hoch eingeschätzt werden."
Schlüter - 29.08.2024
Torsten Grom (rechts) erhielt im Juni 2024 den Ehrenbrief des Landes Hessen. (© Kreis Main-Taunus-Kreis)
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