Es rumort in Pittsburgh
Nach einer erneuten völlig desolaten Vorstellung der Offensive wird die Unzufriedenheit in Pittsburgh mit Offensive Coordinator Matt Canada und zuletzt auch QB Kenny Pickett immer größer. Seit nunmehr 1,5 Jahren dümpelt die Offense vor sich hin und bekommt kein Bein auf den Boden, während die Defense fast wöchentlich gute Leistungen aufruft. Die Fans machen sich Sorgen, dass eine Leistungsverbesserung der Offense nicht oder inzwischen zu spät kommen könnte. Denn die wichtigsten und besten Spieler der Defense haben die 30 bereits überschritten oder nähern sich diesen. Bis die Offense endlich konkurrenzfähig ist muss die Defense wieder von Null aufgebaut werden, so die Befürchtungen der Fans.
In den letzten Wochen konzentrierte sich die Kritik zunehmend auf QB Kenny Pickett und inzwischen auch auf Head Coach Mike Tomlin. Vor allem Tomlins Art Picketts Leistungen, und seien sie auch noch so schlecht, schön zu reden, ruft Unverständnis hervor.
Natürlich wird er seinen Quarterback nicht öffentlich schlecht reden wollen zumal die Steelers auch keine echte Alternative im Kader haben. Aber jede Art von berechtigter Kritik einfach zu negieren, verschlechtert nur seine Glaubwürdigkeit. Und darf man den Medien in Pittsburgh glauben, hat die Unzufriedenheit inzwischen auch das Team erfasst.
Unbeabsichtigter Auslöser dieser ganzen Meldungen war RB Najee Harris, der nach der Niederlage gegen die Browns sagte: "Es passiert eine ganze Menge hinter den Kulissen von dem ihr nichts mitbekommt. Ich bin jetzt an einem Punkt wo ich sagen kann dass ich genug von diesem Sch... habe." Harris hält sich mit öffentlicher Kritik immer zurück. Insofern war dieser Ausbruch schon etwas Besonderes. Und weiter: "Sind die Probleme lösbar? Ja klar. Haben wir aber auch den Willen dies zu ändern?" Anschließend schüttelte er nur den Kopf und redete nicht weiter.
Natürlich löste das zahlreiche Nachfragen der Journalisten aus und in diesem Augenblick wurde Harris wohl bewusst, dass er gerade die Büchse der Pandora geöffnet hatte. Krampfhaft versuchte er zurück zu rudern. Auf weitere Fragen antworten er nur noch spärlich und nach langer Überlegung. Schließlich gab er bekannt, dass er nur noch Fragen ausschließlich zu seiner persönlichen Leistung beantworten werde.
Doch damit war das Jagdfieber der Journalisten geweckt und so wurden zahlreiche Vorfälle aus den letzten Wochen wieder ausgegraben. RT Chukwuma Okorafor wurde vor zwei Wochen auf die Bank gesetzt, weil er "Kritik" geäußert hatte, wie er selbst sagte. WR George Pickett postete etwa zur gleichen Zeit in den sozialen Medien, dass man ihn doch bitte (von den Steelers?) "befreien möge". Gegen die Packers wurde er daraufhin aus der "Starting Offense" entfernt. Und gegen die Browns sorgte eine sichtbare heftige verbale Auseinandersetzung zwischen WR Diontae Johnson und einem Coach für Aufsehen. RT Broderick Jones ging dazwischen und musste die beiden Streithähne trennen. Johnson wollte sich nach dem Spiel nicht dazu äußern, wohl aus Angst vor einer Strafe.
Auch wenn die Einzelheiten dieser Vorfälle nicht exakt bekannt sind, muss einem dies als Fan der Steelers doch Sorgen machen. Solche Vorfälle gab es bei den Steelers so nie, sieht man einmal von dem exzentrischen Antonio Brown ab. Zahlreiche Anzeichen deuten daraufhin, dass es derzeit nicht rund läuft bei den Steelers und dies betrifft nicht nur die Offense. Einzelne Journalisten in Pittsburgh mutmaßen schon, dass Mike Tomlin die Kontrolle über das Team entgleitet.
Nach Matt Canada rückt nun vor allem QB Kenny Pickett in den Fokus der Kritik. Statistisch gesehen ist Pickett nach dem Rating auf Platz 27 aller Quarterbacks. Mit der durchschnittlichen Passlänge von 6,1 Yards rangiert er auf Platz 30, ebenso bei den Touchdown-Pässen. In so gut wie allen Kategorien ist Pickett in dieser Größenordnung zu finden. Lediglich bei den Interceptions findet er sich auf Platz 3 wieder. Aber dies sei kein Wunder, so seine Kritiker. Wer Pässe über die Mitte des Feldes oder tiefe Pässe so konsequent vermeidet, hat gar keine Chance eine Interception zu werfen.
Die landesweiten Medien gießen nun noch reichlich Öl ins Feuer. Kaum ein Tag vergeht an dem ESPN, CBS oder FOX nicht vermelden, wie historisch schlecht Kenny Pickett spielt. CBS kramte dabei eine besondere Statistik heraus. Pickett weist die niedrigste Touchdownquote (1,9 Prozent) aller Quarterbacks seit 1970 auf. Er rangiert auf Platz 315 von 315 Quarterbacks. Und ESPN servierte mit Analyst Rex Ryan genüsslich alle Fehlwürfe von Pickett vom gestrigen Tag, einschließlich Analyse: "Ich weiß nicht ob es das System ist oder der Quarterback. Aber die Statistiken lügen nicht. Diese Offense ist einfach nur schlecht."
Zusätzlich ruft Pickett mit seinen wöchentlichen Stellungnahmen auch viel Kopfschütteln hervor. Die Krönung gab es jetzt nach der Niederlage gegen die Browns. Picketts Erklärung für die Ineffektivität der von ihm angeführten Offense: "Nach unserem Plan hatten wir uns auf eine Manndeckung fokussiert. Das ist dass, was die Browns üblicherweise spielen. Aber heute haben sie das nicht gemacht. Dieses Mal haben sie viele verschiedenen Zonen Varianten gespielt. Darauf müssen wir das nächste Mal besser reagieren."
Diese Aussage mutet zumindest etwas seltsam an. Will Pickett damit andeuten, dass eine Offense eines NFL-Teams es während des gesamten Spiel über nicht geschafft hat, auf eine Zonenverteidigung des Kontrahenten adequat zu reagieren? Für diese Aussage wurde er in den Medien in Pittsburgh harsch kritisiert, schickte den schwarzen Peter aber dadurch umgehend wieder zurück zu Coordinator Matt Canada.
Was soll Tomlin jetzt machen? Seine Alternativen sind mit QB Mitchell Trubisky oder Mason Rudolph auch nicht gerade berauschend. Trubisky durfte diese Saison schon einmal ran und hat komplett enttäuscht, während Rudolph seit annähernd zwei Jahren kein Spiel mehr bestritten hat.
Die Suche nach Antworten ist schwer, vor allem für Außenstehende. QB-Legende Ben Roethlisberger sagte heute in einem Interview, dass es für ihn nicht der richtige Zeitpunkt sei, um Canada zu feuern oder andere Maßnahmen zu ergreifen: "Ich glaube nicht dass dies etwas ändern würde. Nach derzeitigen Stand sind wir in den Playoffs."
Am kommende Sonntag müssen die Steelers nach Cincinnati und bekommen es mit Bengals-QB Jake Browning zu tun. Sollte es auch gegen die Bengals mit einem unerfahrenen Quarterback und einer deutlich schlechteren Defense eine Niederlage geben, muss Tomlin damit rechnen dass die Kritik deutlich zunehmen wird. Spieler für Kritik zu bestrafen und sich in eine mediale Wagenburg zurück zu ziehen, wird das Problem nicht lösen können. Und bei einem Sieg ist das Problem nur vertagt.
Korber - 20.11.2023
Team-Intern soll es viel Kritk an ihm geben: QB Kenny Pickett. (© Getty Images)
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