Das größte Comeback der NFL-Geschichte
Nach einem Rückstand von 0:33 zur Halbzeit drehen die Minnesota Vikings die Partie gegen die Indianapolis Colts und gewinnen noch mit 39:36 in der Verlängerung. In einem epischen Spiel sorgte Vikings-Kicker Greg Joseph mit seinem einzigen Field Goal der Partie (40 Yards) drei Sekunden vor dem Ende der Verlängerung für die Entscheidung. Die Vikings haben damit nicht nur das größte Comeback in der Geschichte der NFL geschafft, sondern so ganz nebenbei auch den diesjährigen Titel der NFC North gewonnen.
Der bisherige "Comeback-Rekord" stammt vom 3. Januar 1993. An diesem Tag lagen die Buffalo Bills gegen die damals noch Houston Oilers (Tennessee Titans) mit 3:35 im dritten Viertel zurück, ehe sie den Rückstand von 32 Punkten aufholten und noch mit 41:38 gewannen. Die Oilers/Titans und nun die Colts sind die einzigen NFL-Teams der Geschichte, die einen Vorsprung von 30 Punkten noch verspielt haben.
"Was haben wir? Wir haben gerade das größte Comeback in der Geschichte der NFL geschafft? Das muss ich erst einmal sacken lassen", sagte Vikings-QB Kirk Cousins kurz nach dem Abpfiff und rang sichtbar nach Worten, um dann fortzufahren "Wir haben in der ersten Hälfte alles falsch gemacht aber dann einen Weg für uns gefunden, obwohl auch in der zweiten Hälfte nicht alles perfekt war. In der Pause sagte (CB) Patrick Peterson, dass wir doch nur fünf Touchdowns für einen Sieg benötigen würden. Das wäre doch nichts. Ich dachte, er meint das sarkastisch. Natürlich war die Stimmung schlecht, wie waren frustriert und wir haben heftig miteinander diskutiert aber wir wollten das nicht zulassen."
Es war in vielen Bereichen ein bemerkenswertes aber auch seltsames Spiel. Insgesamt sahen wir, inklusive der Verlängerung, 35 Drives beider Teams, 16 für die Colts, 19 für die Vikings. Üblich sind in einem Spiel aber etwa nur 18-20 Drives. Von diesen 35 Drives waren nur zwei länger als vier Minuten, nämlich der erste, mit den Colts mit 3:0 in Führung gingen, und der erste Drive der Verlängerung, den die Vikings mit einem Punt abschlossen. In allen anderen Fällen bewegte sich der Ballbesitz zwischen 8 Sekunden und 3:52 Minuten. 11 Drives dauerten sogar weniger als eine Minute. Der Ballbesitz zwischen den Teams wechselte in einem atemberaubenden Tempo und machte somit diesen kuriosen und historischen Spielverlauf erst möglich.
Doch wie sind die Vikings eigentlich in diese Situation gekommen? Die ersten sieben Drives der Vikings sind ein Beispiel dafür, was man nicht tun sollte wenn man ein Spiel gewinnen möchte. Ein geblockter Punt und Return zum Touchdown, ein Fumble, zwei gescheiterte vierte Downs jeweils an der eigenen 31-Yard-Linie (!), ein Interception-Return und zwei "normale" Punts sorgten für den Rückstand von 0:33, der bei kritischer Betrachtung auch deutlich höher hätte ausfallen können.
Colts-Head-Coach Jeff Saturday sprach das Problem zur Halbzeit an, nichtsahnend wie die zweite Halbzeit verlaufen würde: "Wir müssen aus unseren Möglichkeiten in der Red Zone mehr machen. Das ist zu wenig." Die Colts waren mit ihrer Offense jeweils an der 8, 10 und 9-Yard-Linie der Vikings gescheitert und mussten mit drei Field Goals (insgesamt fünf) von Chase McLaughlin vorlieb nehmen. Ein oder zwei Touchdowns aus diesen vielversprechenden Situationen und diese Partei hätte einen ganz anderen Verlauf genommen.
Nach 6:38 Minuten im dritten Viertel schafften die Vikings dann endlich ihren ersten Touchdown durch WR K.J. Osborn, der den Tag mit 10 gefangenen Pässen mit 157 Yards Raumgewinn abschloss und dabei sieben First Downs erkämpfte. Dabei waren es vor allem seine Läufe nach dem Catch, die für aufsehen sorgten. Regelmäßig durchbrach er die Tackles der Colts Verteidiger und konnte erst nach zahlreichen weiteren Yards Raumgewinn und First Downs gestoppt werden.
Dieser Touchdown wírkte zunächst jedoch nur wie ein kleiner Schönheitsfehler in einer Partie, die die Colts noch immer zu kontrollieren schienen. Ein weiteres Field Goal im direkten Anschluss für die Colts zum 36:7-Zwischenstand schien dies zu bestätigen.
Doch die Colts hätten gewarnt sein können. Die Vikings benötigten nur 2:54 Minuten für ihren ersten Touchdown. Der zweite kam 3:40 Minuten nach dem letzten Field Goal für die Colts durch RB C.J. Ham (1-Yard-Lauf) zustande. Für Touchdown Nummer 3 war WR Justin Jefferson verantwortlich auf Vorlage von Cousin; Dauer nur 2:14 Minuten. Die Offense der Vikings bewegte den Ball nun auf einmal mit atemberaubender Geschwindigkeit über das Feld.
Auch ein langer Drive der Colts hätte den Vikings zu diesem Zeitpunkt den Wind aus den Segeln nehmen können. Doch die Defense der Vikings ließ nichts mehr zu. Die Vikings erzielten die Punkte in schneller Zeitfolge, genauso schnell wie die Colts den Ball nach erfolglosen Angriffsbemühungen wieder zurück an die Vikings geben mussten.
Doch es gab Hoffnung für die Colts. Ein langer Pass von Cousins kurz vor die Endzone endete in einer Interception. WR Jalen Reagor hatte aus unbekannten Gründen seine Passroute vorzeitig abgebrochen und Cousins Pass segelte über seinen Kopf in die Arme von Rodney Thomas. Das brachte den Colts aber keine Sicherheit. Drei erfolglose Spielzüge, ein Punt sowie 56 Sekunden später und die Vikings waren wieder in Ballbesitz.
Und die Vikings punkteten immer schneller. WR Adam Thelen vollendete nach nur 1:36 Minuten auf Vorlage von Cousins zum 28:36 aus Sicht der Vikings. Nun waren die Fans völlig aus dem Häuschen und bei noch fünf Minuten verbleibender Spielzeit schien alles möglich. Und als kurz darauf Colts-RB Zack Moss den Ball verlor und Chandon Sullivan den Ball zum scheinbaren Touchdown für die Vikings in die Endzone trug, brachen bei den heimischen Fans alle Dämme.
Doch die Referees hatten einen schweren Fehler gemacht. Zunächst hatten sie entschieden, dass der Ballträger den Ball erst nach Bodenkontakt verloren hätte. Eine Fehlentscheidung, die nach Kontrolle der Videobilder zu recht korrigiert wurden. Doch dem Touchdown blieb die Anerkennung versagt, hatte doch ein Referee den Spielzug bereits zuvor durch seinen Pfiff beendet. Dies ist durch den Videobeweis nicht mehr zu korrigieren.
Die Colts hatten dennoch Glück. Diesmal machte die Vikings keinen Touchdown und die Colts hatten die Chance, endgültig den Deckel auf dieses Spiel zu machen. Sie standen einem vierten Versuch und noch einem fehlenden Yard an der 36-Yard-Linie der Vikings und deren Defense gegenüber. Statt einem Field entschied sich Saturday den vierten Versuch auszuspielen. Matt Ryan scheiterte mit seine "Quarterback Sneak" und die Vikings erzielten 36 Sekunden später ihren fünften Touchdown.
RB Delvin Cook fing einen kurzen Screen Pass und lief damit zur Überraschung von Freund und Feind über 64 Yards in die Endzone der Colts. Die Two-Point-Conversion auf TE T.J. Hockinson sorgte für das 36:36 und die Verlängerung. Dort vollendeten die Vikings mit ihrem zweiten Drive und einem Field Goal drei Sekunden vor dem Ende das sensationelle Comeback.
Am Ende standen für QB Kirk Cousins 460 Yards zu Buche, der beste Wert seiner bisherigen Laufbahn. Dies ist auch der zweitbeste Wert für die Vikings. An erster Stelle steht QB Tommy Kramer, der 1986 gegen die damaligen Washington Redskins 490 Yards erworfen hatte. Justin Jefferson hatte 12 gefangene Pässe, K.J. Osburn 10. RB Dalvin Cook hatte zwar ein Fumble verursachte, steuerte aber insgesamt 195 Yards Raumgewinn bei, 95 durch Pass- und Laufspiel gleichermaßen.
Des einen Freud ist des anderen Leid. Wie sah Head Coach Jeff Saturday die Leistung seiner Colts: "Das war ein enttäuschendes Ende für uns. Das waren zwei völlig verschiedene Halbzeiten. Wir hatten eine schnelle und deutliche Führung und haben in der zweiten Halbzeit einfach zu viele "Big Plays" zugelassen, während wir mit der Offense nicht mehr erfolgreich waren."
Und zu seiner Entscheidung, statt des Field Goals den vierten Versuch auszuspielen: "Ich hatte ein gutes Gefühl. Ich war auch der Auffassung, dies war der richtige Spielzug in dieser Situation. Das hat in dieser Saison schon oft geklappt. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt die Partie einfach für uns erfolgreich beenden. Leider sind wir damit gescheitert."
Korber - 18.12.2022
Was haben wir? Kirk Cousins war sich der historischen Leistung der Vikings nicht bewusst. (© Getty Images)
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