Weichenstellungen im Jahr 1993

Das Jahr 1993 kann ohne Zweifel als das bundesdeutsche Footballjahr bezeichnet werden, in dem die großen Weichenstellungen für kommende Jahre sowohl im Hintergrund, als auch in der Öffentlichkeit, stattfanden. Es war das Jahr, als die Hamburg Blue Devils erstmals ihre Schweppes Cool Masters Series ausspielten und die Idee einer europaweiten Club Liga außerhalb des europäischen Football Verbandes EFL/EFAF vorbereitet wurde. Bis heute gilt dieses Gedankengut seiner Zeit voraus und doch entpuppte sich die ein Jahr später gegründete FLE als eine Einbahnstraße. Die Gründe für das Scheitern liegen auf der Hand. Ein Konstrukt, dass europaweit auftritt, verursacht mehr Kosten, als eine nationale Liga und wenn ein etablierter Sportverband nicht mit eingebunden wird, dann kann er schnell seine ausgebildeten Schiedsrichter blockieren, um den neuen Konkurrenten auszuhungern. Wenn dann auch noch die fatale Erkenntnis Einzug hält, dass nur der Ideengeber schwarze Zahlen schreibt, seine "Satelliten" sich allerdings im tiefroten Morast befinden, dann besitzt diese "Liga" bald nur noch einen historischen Wert. Trotzdem war es wichtig, die Schweppes Cool Masters Series und die FLE 1994 auszuprobieren. Zum Einen um Austesten, ob die Zeit für das Denken über den nationalen Tellerrand schon reif war und zum Anderen erhielt der Footballstandort Hamburg eine Boom Phase, die noch zehn Jahre lang anhalten sollte.

Zum Grundgerüst eines Konzeptes gehörten für Axel Gernert stets vier Merkmale. Viel Footballkompetenz in einem Team zu vereinigen, dass ausgestattet mit dem Geld ausgesuchter Gönner, Sponsoren und Mäzenen auf einer Plattform spielt, die eine professionelle Show bietet und diese Ereignisse sollten möglichst auf allen Medienkanälen stetig weiter erzählt werden. Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre ging diese Rechnung in der Freien und Hansestadt Hamburg noch auf. Die Fußballer des HSV langweilten die Hamburger Sportszene, dass im Eigentum der Stadt befindliche Volksparkstadion war noch zu erschwinglichen Preisen zu mieten und die Sportart American Football für ein großes Sportpublikum noch gänzlich unbekannt. Der ehemalige Redakteur einer Boulevardzeitung sammelte also diese Zutaten beflissen und schuf mit ein paar Getreuen die Hamburg Blue Devils. Auf der sportlichen Seite musste er nur in den nicht enden wollenden Topf amerikanischer Talente, die irgendwann einmal auf dem Weg in den NFL nicht weiterkamen und drohten, auf ewig unbekannt zu bleiben. Zu diesen Athleten gehörte zweifelsohne Bob Jones, den Gernert und sein Head Coach, George White rekrutierten. Bob Jones, geboren am 17. August 1970 in Buffalo, Minnesota, kam schon, wie die meisten Amerikaner, sehr früh zum Football. Zuerst auf der Linebacker Position, später dann sorgten zwei entscheidende Merkmale dafür, dass er auf die Quarterback Position wechselte. Er war nicht gerade der muskulöseste als Linebacker, dafür hatte er aber einen hervorragenden Wurfarm, was ihn dann schon auf der Elk River-High School in seiner Heimatstadt auszeichnete. Seine bisher größten Erfolge konnte Bob, inzwischen BWL-Student an der Moorhead University, als Spielmacher verzeichnen. Allein in seiner letzten Saison brachte er es auf 21 Touchdown Pässe. Jones wurde sogar zu einem Trainingscamp der Minnesota Vikings eingeladen. Doch dort stellte sich wieder einmal für ihn ein bekanntes Problem dar. Bei einer Größe von 182 Zentimetern war er einfach zu klein. Hier ergriffen die Blue Devils in Gestalt von Manager Axel Gernert und Trainer George White die Gelegenheit und holten Jones nach Hamburg. Kein Wunder, dass er in Hamburg wie eine Bombe einschlug und gleich bei den "Schweppes Cool Masters ’92" zum Most Valuable Player des Turniers ernannt wurde. Den letztendlichen Beweis, dass er in Hamburg von seinen Fans hoch geschätzt wurde, brachte das Ergebnis der "Morgenpost"-Sportlerwahl ’92. Bei der Ehrung durch den damaligen Hamburger Innensenator Werner Hackmann musste sich Jones allerdings wegen des genommenen "Heimaturlaubes" von Axel Gernert vertreten lassen. Unterdessen stellte Gernert am 19. April das Blue Devils Konzept des Jahres 1993 vor. Die blauen Teufel sollten europaweit zum Einsatz kommen, gegen ein amerikanisches College antreten und eng mit der Kinderhilfsorganisation Unicef zusammen arbeiten.

Gernert sollte nicht zu viel versprechen. Am 8. Mai sahen 9950 Zuschauer bei strahlendem Wetter im Volksparkstadion einen 35:20 Sieg der Hamburger gegen Manchester Spartans. Als Zuschauermagnet wurde der Unicef Botschafter und ex 007 Agent Roger Moore präsentiert, der zum Gelingen der Footballparty erheblich beitrug, die so ganz anders zelebriert wurde, als es der klassische Footballfan erwartet hätte. Ein schon damals weit verbreitetes Gerücht, die Blue Devils würden mit ihrem Konzept nur eine Partytruppe sein und die Ligastrukturen durch das Aufsaugen benachbarter Vereine oder Footballabteilungen im Sinne haben, konnte übrigens nur wenige Tage im Victoria Stadion an der Hoheluftchaussee widerlegt werden. Eine Rekordkulisse und einen echten Football-Krimi erlebte das "Vici". In der Bundesligapartie gegen die Düsseldorf Panther beim Stand von 19:20, gelang es den Silver Eagles gleichzuziehen und mit einer Conversion den Sieg zu erkämpfen. In letzter Sekunde versperrten sie John Davis den Weg in die Endzone. Offiziell zählten die Silver Eagles 7994 Zuschauer, die Hamburger Tagespresse ging von geschätzten 5500 Fans aus – trotzdem war der Beweis erbracht, dass beide Footballsysteme vom einsetzenden Footballboom in der Hansestadt profitieren und "König Fußball" gemeinsam Marktanteile abjagen konnten. Für die Silver Eagles war zu diesem Zeitpunkt aus sportlicher Sicht auch in punkto Playoffs noch Vieles möglich. Bei den Monheim Sharks sorgte ein 34-Yard-Field-Goal für einen 16:15 Auswärtssieg in letzter Sekunde. Während die Haie einer verpassten Gelegenheit nachtrauerten, trugen die hellauf begeisterten Hamburger ihren Matchwinner Jürgen Wix auf den Schultern vom Platz.

Unterdessen wurde beim AFVD wieder einmal Zukunftsstrategien entworfen und es konnte auch ein wenig gefeiert werden. Die Entscheidung, dass der europäische Footballverband im Mai feststellte, dass sich Deutschland für die nächste EM qualifiziert hatte, wurde mit Genugtuung aufgenommen. Als aber auch der Deutsche Sportbund keine 48 Stunden später mitteilte, dass auf einer Hauptausschusssitzung der AFVD in die Dachorganisation des deutschen Sportes aufzunehmen, knallten im Frankfurter Hauptquartier die Sektkorken. Ein 15 Jahre alter Traum von der "offiziellen Anerkennung der Sportart durch den DSB wurde Wirklichkeit und setzte die Energie für neue Ziele frei. So lag bereits Ende Mai ein Angebot der Agentur "IDEA" vor, die sich dafür interessierte, den German Bowl 1993 und darüber hinaus alle Nationalmannschaftsspiele und German Bowls der nächsten vier Jahre auszurichten. Hinter der Firma "IDEA" stand der Geschäftsführer Stefan Hartl, der die Heimspiele der Munich Cowboys in diesem Bereich betreute und auch beim German Bowl 1992 in Hannover für Teile des Rahmenprogramms verantwortlich war. Hartl bot für den German Bowl eine Garantiesumme von 50.000 DM, in den folgenden Jahren jeweils mindestens 70.000 DM zuzüglich 40 Prozent eventueller Gewinne der Veranstaltungen. Im entsprechenden Vertragsentwurf war vorgesehen, dass der AFVD für die Zustimmung der Landesverbände Sorge zu tragen hat. Für die Zukunft wünschte sich "IDEA", ein einheitliches Bild des deutschen American Football präsentieren zu dürfen. Diesem Ziel sollten nach den Vorstellungen der Agentur auch Bundesligaspiele dienen. Für alle Verbandsveranstaltungen, die der Obhut des AFVD unterlagen, sah die Entwurfsfassung des Vertrages ein Exklusivrecht von "IDEA" für die Vermarktung vor. Diese sollten neben Länderspielen und German Bowls auch zukünftige Junior Bowls und Ladies Bowls beinhalten. Dass Realität und Wirklichkeit noch nicht deckungsgleich beim AFVD agierten, zeigte auch die folgende kleine Geschichte. Vor den Toren des Berliner Olympiastadions tagte während des American Bowls 1993 die Bundesversammlung des AFV Deutschland. Dabei blieb auf Wunsch des AFV Hessen die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Nach der Versammlung zeigten sich sowohl AFVD-Präsident Wolfgang Büchner und auch AFVD-Vizepräsident Rüdiger Labenski zufrieden mit dem Ablauf der Tagung, auf der die Landesverbände mit dem Präsidium in vielen Punkten Einigkeit erzielten. Labenski gab nach der Tagung am Stand des AFVD auf dem Maifeld zu Protokoll, alle Verbände wären "mit einem Endspiel in München einverstanden". Eine Aussage, die dem gerade am AFVD-Stand verweilenden Präsidenten des AFV Nordrhein-Westfalen Roland Wingenroth jedoch einen kurzen aber heftigen Lacher entlockte. An diesem 7. August 1993 gewannen die Minnesota Vikings übrigens 20:6 gegen die Buffalo Bills.

Dieser dezente Hinweis des mächtigen Landesverbandsfürsten aus Westdeutschland sollte der Auftakt für weitere Diskussion innerhalb der AFVD Funktionäre sein. Zunächst aber galt es die 10.135 Zuschauer beim German Bowl XV in München zu feiern und den dritten Platz der deutschen Herrenauswahl zu feiern. Nach dem britischen Erfolg im Europapokal der Landesmeister durch die London Olympians hielten sich in Telgate bei Bergamo die Finnen, deren Meister East City Giants Helsinki im Europacup nur knapp im Halbfinale am Titelgewinner London gescheitert war, schadlos und erspielten sich in Abwesenheit des Titelverteidigers Großbritannien verdient ihre zweite Europameisterschaft nach 1985. Wie auch im Eurobowl das Spiel zwischen Helsinki und London in der Nachbetrachtung als eine Art vorgezogenes Finale gelten könnte, darf man ähnliche Eigenschaften dem EM-Halbfinale zwischen Deutschland und Finnland nicht ganz absprechen. Beide Teams dominierten am Finaltag in den Finalspielen ihre jeweiligen Gegner, Deutschland musste mit dem dritten Platz vorliebnehmen, ohne in einem Spiel gegen die Italiener beweisen zu können, was als allgemeine Vermutung die Runde machte: dass Deutschland hinter Finnland durchaus Platz zwei gebührt hätte.

Die 15. Saison in der Bundesliga beendeten die Bayern mit ihrer ersten Meisterschaft. Im Olympia-Reitstadion in München-Riem gewannen sie das Finale gegen die Cologne Crocodiles mit 42:36 nach Verlängerung, der ersten Overtime, die in einem deutschen Finale gespielt wurde. Nach Ablauf der regulären Spielzeit hatte es vor rund 9.000 Zuschauern 29:29 gestanden, nachdem die Münchener eine Minute vor Schluss den Touchdown und die zum Ausgleich notwendige Conversion erzielt hatten. Zur Halbzeit hatten die Kölner bereits mit 20:7 in Front gelegen, vermochten es aber nicht, diesen Vorsprung über die zweite Hälfte zu retten.

Auch mit seinem Einstand als Endspiel-Organisator war der Chef der Agentur IDEA zufrieden und wollte während der nächsten vier Jahre mit deutlich mehr Vorlaufzeit für die jeweiligen Endspiele die Organisation der Ereignisse stetig verbessern. Innerhalb der nächsten vier Wochen sollte laut Stefan Hartl die Entscheidung über den Endspielort 1994 getroffen werden. Bereits zum 13. November lud der AFVD-Präsident Wolfgang Büchner die Präsidenten der Landesverbände zu einer Verwaltungsratssitzung nach Frankfurt ein. Auf dem Programm stand die Neuwahl des Verwaltungsratsvorsitzenden sowie seines Stellvertreters an. Als zusätzliche Tagesordnungspunkte waren die Entwicklung und der Stand der Dinge "Firmen-Pool", das Spielverbot gegen österreichische Mannschaften, der Geschäftsverteilungsplan des AFVD, der Austragungsort des German Bowls 1994 und die Übertragung der TV-Übertragungsrechte der ersten Bundesliga auf den AFVD vorgesehen. Weit radikaler argumentierten die Bundesligavereine und forderten zwei Wochen später weitergehende Reformen. Ergebnis der Besprechung war die Forderung an den Bundesspielausschuss nach einer weitergehenden Verkleinerung der ersten Liga. Insbesondere der Head Coach der Munich Cowboys, Franz Bayer, als stärkster Befürworter, stellte die Eckdaten der von einigen Vereinen geforderten Veränderungen dem Gremium vor. Nach deren Vorstellungen soll bereits 1995 die erste Bundesliga auf zwei Gruppen mit jeweils nur fünf Mannschaften reduziert werden, wobei auch gerne gesehen werden würde, sogar Gruppen mit nur jeweils vier Teams zu bilden. Erneut zwei Wochen später tagte der angesprochene Bundesspielausschuss (BSA) und setzte dem wilden Treiben ein Ende. Beschlossen wurden die Regularien für den Spielbetrieb 1994. Zusammengefasst wurden diese in der neuen Bundesspielordnung. Doch nicht nur "Regeln des Miteinanders" wurden in Worte gefasst, auch die Zusammensetzung der Bundesligen für 1994 und 1995 wurden hart diskutiert und beschlossen. Fazit der Beschlüsse: Die erste Bundesliga wurde 1994 so gespielt wie vorgesehen, es sollte kleinere Änderungen im Bereich der zweiten Liga geben - die große Reform sollte dagegen erst 1995 greifen.

Mit solchen langen Sitzungen wollte sich naturgemäß Axel Gernert in Hamburg nicht lange beschäftigen. Im Sturmlauf eroberte er 1993 den Footballstandort Hamburg und forderte im Sommer neben ausgewählten europäischen Clubs auch die Footballer der Pacific Lutheran University, einer College-Mannschaft aus der NAIA, Division II. Doch damit nicht genug. Noch im September reisten die blauen Teufel zum Rückspiel, das 6000 Fans besuchten. Diese staunten nicht schlecht. Die Blue Devils verkauften sich teuer und mussten erst im dritten Viertel, bedingt durch kurzfristigen Blackout, die Segel streichen. Gespielt wurde in der Hansestadt auch gegen einen echten Bundesligisten. Die Cologne Crocodiles gastierten erstmals 1993 im Hamburger Volksparkstadion. Nur 10.200 Plätze standen bei Heimspielen der Blue Devils auf der Haupttribüne zur Verfügung - und kurz vor dem Kickoff der Partie durften an den Kassenhäuschen die "Ausverkauft"-Schilder hochgezogen werden. Auf die Entscheidung über den sportlichen Ausgang des Abends musste aber länger als gewohnt, gewartet werden. Erst im dritten und vierten Viertel konnten die Hamburger das Zepter in die Hand nehmen und mit dem 31:21 ihren fünften Sieg in diesem Jahr sicherstellen.

Das Footballjahr 1993 zeigt in der Nachbetrachtung nicht nur die Zweiteilung der Systeme. Auf der einen Seite standen die Entrepreneure aus Hamburg, die sich noch nicht mit dem Funktionärswesen anfreunden wollten und von einem neuen Footballeuropa träumten. Auf der anderen Seite wurde aber mit dem Engagement der Agentur IDEA auch gezeigt, dass niemand beim AFVD auf die blauen Teufel und ihrem neuen Stil wartete, sondern dass durch die Vergabe der Ausrichterrechte des German Bowls an die Firma von Stefan Hartl Neuland betreten wurde.

Schlüter - 01.03.2021

Leser-Bewertung dieses Beitrags:

zur mobilen Ansichtmehr News GFLwww.gfl.infoSpielplan/Tabellen GFLLeague Map GFLfootball-aktuell-Ranking GFLfootball-aktuell-Ranking Deutschland
RegistrierenKennwort vergessen?

Login:

Kennwort:

dauerhaft: