Absturz der Überraschungssieger

Am Ende eines Spieltages suchen die professionellen Beobachter in den Median gern nach einem übergreifenden Motto, nach etwas, das charakteristisch für den Spieltag war. Am letzten Spieltag bot sich das Thema „Trap Games“ an. Damit meint man Spiele gegen vermeintlich schwächere Gegner unmittelbar vor einem ganz wichtigen Spiel oder direkt nach einem solchen, und zwei der drei großen Überraschungen des letzten Spieltages schienen perfekt in dieses Muster zu passen. USC verlor eine Woche nach dem Sieg bei Stanford bei Boston College mit 31:37, und Virginia Tech wurde nach dem prestigeträchtigen „Upset“ bei Ohio State mit einer 21:28-Heimniederlage gegen East Carolina auf den Boden des Saisonalltags zurückgeholt. Die einfachste Erklärung dafür: Sowohl die Spieler von USC als auch die von Virginia Tech waren nach den unerwarteten Erfolgserlebnissen der Vorwoche noch nicht wieder voll bei der Sache und haben die „auf dem Papier“ leichteren Gegner unterschätzt.

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht, und die Betroffenen wehren sich gegen solche Erklärungen meistens auch. So auch in diesem Fall. „Diese Entschuldigung lasse ich nicht gelten. Ich dachte, wir wären gut vorbereitet. Wir wussten genau, wie East Carolina spielen würde. Das war kein Geheimnis“, gab sich Virginia Techs Head Coach Frank Beamer trotzig und verwies auf die Qualität des Gegners. „East Carolina ist ein weithin unterschätztes Team mit guten Passempfängern und einem guten Quarterback. Wir haben erwartet, dass sie gut spielen. Wir haben uns nur hier und da ein paar mentale Fehler geleistet“, so Beamer weiter. Und bei seinem Quarterback, Michael Brewer, hörte sich das genauso an. „Es gibt wirklich keine Entschuldigung. Sie waren in der ersten Halbzeit einfach besser“, sagte der unter anderem. Klar, wer gibt schon gerne zu, den Gegner unterschätzt zu haben.

Dennoch, wer das Spiel gesehen hat, nicht nur später das Ergebnis und die Statistik, der konnte sich des Eindrucks kaum erwehren, dass die Spieler von Virginia Tech anfangs nicht voll bei der Sache waren. Dazu kam, dass es beim Gegner genau das Gegenteil war. Der war besonders heiß, nachdem er in der Woche zuvor eine erste große Überraschung bei South Carolina mit eigenen Fehlern verspielt hatte. East Carolina war zu Beginn spielerisch mutig im Auftreten, attackierte mit langen Pässen den vermeintlich stärksten Teil der Abwehr von Virginia Tech, die Defensive Backs, und war einfach geistig schneller. Letzteres sah man gut beim sechsten Spielzug des ersten Ballbesitzes der Partie, als TE Bryce Williams einen von einem Defensive Lineman abgefälschten Pass seines Quarterbacks Shane Carden reaktionsschnell aus der Luft fischte und danach über 22 Yards bis an die 5-Yard-Linie der Gastgeber stürmte. Zwei Spielzüge später erzielte Williams dann selbst den Touchdown zur frühen Führung der Pirates. Letztlich legte East Carolina im ersten Viertel eine 21:0-Führung vor, und Virginia Tech brauchte bis in die Schlussphase der ersten Halbzeit, ehe es in der Offensive überhaupt mal nennenswerten Raumgewinn schaffte. Zugegeben, in der zweiten Halbzeit spielte der Favorit dann besser und schaffte eine Minute und 20 Sekunden vor Spielende tatsächlich noch den Ausgleich. Aber es passte ins Gesamtbild dieses Spiels, dass East Carolina danach nur zwei Spielzüge, Pässe von 31 und 28 Yards, brauchte, um an die 1-Yard-Linie der Hokies zu gelangen und 16 Sekunden vor Spielende den Touchdown zum 28:21 zu erzielen.

Passte das Klischee vom „Hangover“ nach einem besonderen Erfolg und vom Unterschätzen eines potenziell schwächeren Gegners im Falle von Virginia Techs Niederlage noch, auch weil die Hokies „Wiederholungstäter“ sind und mit dieser Niederlage vier der letzten fünf Partien nach einem Sieg gegen ein Top-25-Team verloren haben, so taugt es im Falle von USCs Niederlage bei Boston College als Erklärung eher nicht. Die Trojans waren bis in das zweite Viertel erwartungsgemäß die bessere Mannschaft. Die Offensivbemühungen der Gastgeber endeten bei den ersten drei Angriffen nach jeweils drei Spielzügen und brachten zusammen zwei Yards Raumverlust, während USC in dieser Phase eine 10:0-Führung vorlegte. „Ich denke, wir haben zu Beginn unseren besten Football gepielt. Unsere Umsetzung (der ausgesuchten Spielzüge) war gut. Aber aus welchen Gründen auch immer haben wir unsere Linie verloren. Und das ist das, was ich analysieren muss. Sie (gemeint Boston College) hatten einen langen Lauf und danach begann das Spiel, gegen uns zu laufen“, sagte Head Coach Steve Sarkisian zum Spielverlauf. Wobei anzumerken ist, dass der Spielzug, auf den Sarkisian Bezug nahm, ein 52-Yard-Lauf bis an USCs 26-Yard-Linie beim ersten Spielzug des vierten Ballbesitzes der Eagles, noch kein Beinbruch war. Im Anschluss an diesen gelang Boston College zwar das 6:10, aber nur drei Spielzüge später lag USC wieder deutlicher vorn (mit 17:6).

Zu kippen begann das Spiel danach. Boston College hatte von Anfang an primär auf Laufspielzüge gesetzt, was angesichts einer routinierten Offensive Line und der Schwächen von QB Tyler Murphy im Passspiel die logische taktische Marschroute war, und hatte damit schon im zweiten Viertel mit zunehmender Spieldauer immer mehr Erfolg. Die Erklärung dafür sind aber weder ein Unterschätzen des Gegners noch mentale Spätfolgen des dramatischen Sieges bei Stanford. Vielmehr waren die Trojans acht Tage nach dem Spiel gegen einen anderen laufstarken Gegner in der Defensive offenbar ausgelaugt. In der zweiten Halbzeit standen USCs Verteidiger wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange. Boston College, das in der Vorwoche noch ohne wirkliche Siegchance gegen Pittsburgh verloren hatte, lief und lief (30 der 33 Spielzüge der Eagles in Halbzeit zwei waren Läufe) und bremste sich nur einmal selbst, als es zwei - erfolglose - Pässe in Folge spielte.

Die Erklärung für diesen Verlauf ist wohl in der Kaderstärke der Trojans, genauer in der fehlenden „Tiefe“ des Kaders zu sehen. USC musste als Teil der im Jahr 2010 verhängten NCAA-Bestrafung für die Regelverstöße seines einstigen Running-Back-Stars Reggie Bush drei Jahre lang mit verringerter Kaderstärke (maximal 75 Spieler mit Football Scholarships statt 85) operieren. Das hat den Kader in den letzten Jahren massiv ausgedünnt. Dazu kommt, dass die erlaubte maximale Kaderstärke und die aktuell tatsächliche nicht unbedingt übereinstimmen. USC soll zum Spiel bei Boston College mit nur 54 Football-Stipendiaten angereist sein. Weniger Spieler, vor allem weniger den Stammspielern annähernd gleichwertige Spieler, bedeuten, dass man weniger rotieren kann. So wichtig Top-Talente, gutes Coaching und die richtige Taktik auch sind, in einer physisch so anspruchsvollen Sportart wie Football spielt auch eine entscheidende Rolle, dass man ständig „fresh legs“ aufs Feld schicken kann - zumal in einer Zeit, in der das Spiel schneller geworden ist und die Teams mehr Spielzüge pro Spiel spielen als noch vor wenigen Jahren.

In diesem Punkt wird USC auch nach dem Ende der NCAA-Sanktionen noch eine zeitlang unter den Folgen dieser leiden. Für den Rest dieser Saison bedeutet das für die Trojans, dass sich für eine Mannschaft, deren „erste Garnitur“ so stark besetzt ist, dass sie nahezu jeden Gegner schlagen kann, ähnliches wie jetzt im weiteren Saisonverlauf wiederholen kann. Anfang Oktober bekommt es USCs Abwehr innerhalb von acht Tagen mit den Hochgeschwindigkeitsoffensiven von Arizona State und Arizona zu tun, und Ende November stehen dann mit den Partien beim Lokalrivalen UCLA und gegen Notre Dame wieder zwei physisch besonders fordernde Spiele innerhalb von einer Woche auf dem Programm.

Hoch - 15.09.2014

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