Veränderung ohne Fortschritt

Marcus MariotaAuch in Umbruchzeiten zählt zunächst mal „auf’m Platz“ und getreu dieser Erkenntnis können sich die College-Football-Fans ab dieser Woche für die nächsten etwas mehr als vier Monate wieder auf das konzentrieren, worum es doch eigentlich gehen sollte: Yards, Touchdowns, Titel und Trophäen. Die zurzeit im College Football tobenden finanziellen Verteilungskämpfe, die mit Gerichtsprozessen, versuchten Gewerkschaftsgründungen und der Forderung nach mehr Autonomie für die fünf wirtschaftlich und damit auch sportlich leistungsstärksten Conferences geführt werden, und die Ungewissheit über die Zukunft des College Footballs, die all das hinterlässt, treten vorübergehend in den Hintergrund. Gespannt ist man jetzt vor allem auf die Auswirkung der wichtigsten sportlichen Neuerung, der Ermittlung des National Champions mit Hilfe von Playoffs.

Playoffs - in den unteren Spielebenen gibt es sie seit 1973 (Divisions II und III) beziehungsweise 1978 (Division 1-AA/FCS), für die höchste Ebene, die Football Bowl Subdivision (FBS), die seit der Teilung der NCAA Division I im Jahr 1978 bis 2005 Division 1-A hieß, wollte man Playoffs bis in die jüngste Zeit bewusst nicht - aus Sorge vor zusätzlichen Belastungen für die Spieler und der Angst vor einer Entwertung der Regular Season, so zumindest die beiden Hauptargumente der Playoff-Gegner. Schon die Erwähnung des Begiffs erzeugte bei Universitätspräsidenten, Conference Commissioners und der NCAA-Führung knapp vier Jahrzehnte lang Widerstand. So wurde der Meister bis in die späten 90er Jahre mit Hilfe von zwei Abstimmungsranglisten (Journalisten und Coaches) gekürt. Ab 1998 gab es dann die so genannte Bowl Championship Series (BCS), ein von den sechs wichtigsten Conferences und den vier wichtigsten Bowls geschaffenes Konstrukt, das mit Hilfe einer eigenen Rangliste, in die zunächst auch die beiden traditionellen Abstimmungsranglisten, später die der Coaches und einer neuen Experten-Umfrage, einflossen, die beiden Teilnehmer am BCS National Championship Game ermittelte. Die BCS stand über die gesamte Zeit ihrer Existenz in der Kritik, weil sie trotz des durchaus ehrenwerten Versuchs, in Ermangelung eines offiziellen NCAA-Finales ein richtiges Endspiel zu organisieren, regelmäßig umstrittene Endspielpaarungen produzierte.

Am Ende der Saison 2011, als mit Alabama ein Team ins National Championship Game einzog und dieses dann auch gewann, das in der Regular Season nicht einmal die eigene Division der eigenen Conference hatte gewinnen können, war das Maß voll, hatte die BCS ihren imagemäßigen Tiefpunkt erreicht. Dazu kamen die bei Fans und Medien schon länger vorhandene eindeutige Stimmung für das Einführen von Playoffs und die Aussicht, mit Playoffs einen dreistelligen Millionen-Betrag zusätzlich einzunehmen. Wenige Monate später, im Frühjahr 2012, beschlossen die Conferences, dass man ein Playoff-System erarbeiten und die BCS durch dieses dann ersetzen werde. Was bei den Entscheidungsträgern des College Footballs jahrzehntelang verpönt war, wurde jetzt fast über Nacht und ohne große Widerstände durchgezogen.

Jetzt also Playoffs, und auch wenn es am Ende nur die kleinstmögliche Lösung mit zwei Semifinals wurde, ist das zunächst einmal eine Verbesserung, weil künftig vier Teams statt zwei die Chance bekommen, mit eigener Leistung auf dem Platz Meister zu werden. Der große Wurf ist das College Football Playoff (abgekürzt CFP), dessen Executive Director im Übrigen der selbe Mann ist, der diese Position schon bei der BCS innehatte, freilich nicht. Im Grunde ist es nur die Weiterentwicklung von Bowl Coalition (1992 bis 1994), Bowl Alliance (1995 bis 1997) und BCS (1998 bis 2013). Viele hatten sich mehr Teilnehmer erhofft, mindestens acht, sodass zumindest alle Champions der stärksten Conferences mit im Rennen um den Titel gewesen wären. So weit ging der Wille zur Veränderung bei den Conference Commissioners dann aber doch nicht.

Die entscheidende Schwäche des CFP ist aber etwas anderes: generell, dass auch über die Teilnehmer am CFP nicht objektive Kriterien wie Bilanzen oder Conference-Titel entscheiden sondern wieder eine ausgewählte Anzahl von Personen, vor allem aber, dass die Anzahl der darüber entscheidenden Personen drastisch kleiner wird. Entscheiden wird nicht eine Rangliste wie die der BCS, in die immerhin knapp 180 Stimmen aus einer Experten-Umfrage, einer Coaches-Umfrage und sechs Computer-Ranglisten einflossen, sondern ein Selection Committee, das aus nur 13 Personen besteht. Zugegeben, die Mitglieder dieses Gremiums sind hochangesehene Persönlichkeiten, mehrheitlich mit aller Ehren wertem Football-Background (unpassend wirkt lediglich die Berufung der ehemaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice), und die Regelung, dass sie wegen ihrer aktuellen oder einstigen Verbindung mit bestimmten Teams nicht für diese stimmen dürfen, hilft ein wenig, die potenzielle Bevorzugung von Teams wegen der persönlichen Präferenzen der Abstimmenden abzumildern. Letztlich sind es aber 13 persönliche Meinungen, und ein Querschnitt aus nur 13 Einzelmeinungen dürfte eher mehr als weniger umstritten sein als ein Querschnitt aus circa 180 Einzelmeinungen. Das plus der Umstand, dass es in der Regel für den vierten Playoff-Platz mehr potenzielle Kandidaten geben wird als bislang für den zweiten Platz im Finale, macht Kontroversen am Ende der Regular Season noch wahrscheinlicher als in den Zeiten der BCS.

Sei’s drum, für die Teams mit Titelambitionen steigen die Chancen und der Kreis dieser Teams wird größer. Ein fast sicherer Kandidat für einen Platz in der Premierensaison des CFPs ist Florida State. Der letztjährige National Champion liegt in den drei wichtigsten Preseason-Ranglisten (den Journalisten- und Coaches-Umfragen und der des Vorhersage-Gurus Phil Steele) auf Platz eins. Das hat natürlich keine wirkliche Bedeutung, weil keine der Ranglisten über die Playoff-Teilnehmer mitentscheidet, aber sollte der Titelverteidiger ungeschlagen durch die Regular Season kommen, dann ist eigentlich kein Szenario vorstellbar, bei dem die Seminoles nicht auf einem der ersten vier Plätze des CFP Rankings liegen würden. Und die Chancen, vor den Playoffs ohne Niederlage zu bleiben, sind gut. Das Gros der letztjährigen Stammformation ist noch dabei, und einige der nachrückenden Spieler haben bereits reichlich Erfahrung. Die größten Veränderungen gibt es in den „Front Seven“ in der Abwehr. Der Spielplan ist günstig. Die beiden potenziell stärksten Gegner, Clemson und Notre Dame, müssen in Tallahassee antreten, und der Auftaktgegner am Samstag in Arlington (Texas), Oklahoma State, ist nach dem Verlust vieler Leistungsträger erst einmal deutlich schwächer einzuschätzen als in den letzten Jahren.

Sieht man die Preseason-Rangliste nicht, wie der schon erwähnte Phil Steele, als Prognose für das letztendliche Abschneiden in der Saison sondern als Aussage über den (vermuteten) aktuellen Leistungsstand der Teams, dann spricht einiges dafür, dass Oregon vor dem Start in die neue Spielzeit vielleicht einen Tick stärker einzuschätzen ist als Florida State. Aus dem statistisch zweitbesten Angriff der letzten Saison sind noch acht Stammspieler dabei, allen voran QB Marcus Mariota, der zum kleinen Kreis der unmittelbaren Anwärter auf die Auszeichnung zum MVP der Saison (Heisman Trophy) gehört. Und die zu erwartende Offensivstärke des Teams sollte erneut die eine oder andere Schwäche in der Defensive ausgleichen können. Das Programm der Ducks ist anspruchsvoll genug, um selbst bei einer Regular-Season-Niederlage noch einen der vier Playoff-Plätze erreichen zu können, aber auch nicht zu schwer. Drei der vier nach jetzigem Stand wahrscheinlich stärksten Gegner (Michigan State, Stanford und Washington) empfängt man in Eugene, und das zweistärkste Team aus der anderen Division der Pac-12, USC, gehört dieses Mal nicht zu den Gegnern (es sei denn, beide Teams würden das Pac-12 Championship Game erreichen). Die größte Gefahr einer Niederlage droht so im Auswärtsspiel bei UCLA Mitte der Saison, das selbst zum Kreis der Playoff-Kandidaten gehört.

Zurecht hoch gehandelt wird auch Oklahoma. Die Sooners verfügen über eine sehr gute Abwehr, die nur zwei Stammspieler der letzten Saison ersetzen muss. In der Offensive macht der junge QB Trevor Knight, der beim Sieg im letztjährigen Sugar Bowl gegen Alabama eine ganz starke Leistung gezeigt hatte, Hoffnung auf eine deutliche Steigerung. Das größte Problem der Mannschaft ist ihr leichtes Programm. Das steigert zwar die Chancen darauf, ungeschlagen Champion der Big Twelve Conference zu werden, aber sollten auch die Champions von SEC, Pac-12, Big Ten und ACC ohne Niederlage bleiben, würde Oklahoma mit Sicherheit hinter diesen platziert, und unter Umständen könnte das Selection Committee sogar einem mit einer Niederlage belastetem Team aus einer der vier anderen so genannten Power Conferences den Vorzug vor einem ungeschlagenen Oklahoma geben. Für die Sooners heißt das, alle Spiele möglichst hoch zu gewinnen und vor allem in den Spielen gegen den letztjährigen Big Twelve Champion Baylor und das mit neuem Head Coach wahrscheinlich wieder stärkere Texas zu überzeugen.

Hinter diesen Dreien gibt es sechs bis acht Teams, die einerseits genug Potenzial haben, um die Playoffs zu erreichen, bei denen aber andererseits einiges gegen ein Erreichen dieses Ziels spricht. Der letztjährige Endspiel-Verlierer Auburn, Stanford und auch der gar nicht mehr so geheime Geheimtipp in Sachen Meisterschaft, UCLA, zum Beispiel absolvieren Programme, die schon ein Durchkommen mit nur einer Niederlage schwer machen. Auburn muss auswärts gegen Alabama, Georgia und Mississippi spielen und hat Heimspiele gegen South Carolina, LSU und Texas A & M. Auf Stanford warten Auswärtsspiele gegen Oregon, UCLA, Notre Dame, Washington und Arizona State sowie ein Heimspiel gegen USC. Und UCLA bekommt es daheim mit Oregon, Stanford und USC zu tun, auswärts mit Washington, Arizona State und Texas.

Alabama muss dieses Mal vielleicht doch zu viele wichtige Spieler auf einmal ersetzen, um das ganz große Ziel zu erreichen. Ohio State wird trotz des verletzungsbedingten Ausfalls von QB Braxton Miller eine starke Mannschaft ins Rennen schicken, aber dass man ohne Miller ungeschlagen Big Ten Champion wird, ist doch eher unwahrscheinlich. Michigan State wiederum fehlen die herausragenden Einzelspieler, damit der „Glamour“ der anderen Playoff-Kandidaten, und so würden die Spartans wohl nur als ungeschlagener Big Ten Champion den Sprung in die Playoffs schaffen, was bei Spielen gegen Oregon (auswärts) und Ohio State (daheim) nicht leicht wird. Und Georgia mit seinem stark umgebauten Angriff braucht Zeit zum Einspielen, die es bei Auftaktspielen gegen Clemson und bei South Carolina nicht bekommen wird.

Alles in allem zeichnet sich eine Situation am Ende der Regular Season ab, die das Selection Committee mächtig unter Druck setzen dürfte. Das verspricht, positiv gesehen, viel Spannung, kann dem neuen Playoff-System aber auch einen Fehlstart beschehren.

Hoch - 25.08.2014

Marcus Mariota

Marcus Mariota (© Getty Images)

Leser-Bewertung dieses Beitrags:

zur mobilen Ansichtmehr News Collegewww.ncaafootball.comSpielplan/Tabellen CollegeLeague Map College
RegistrierenKennwort vergessen?

Login:

Kennwort:

dauerhaft: